„Jugend debattiert“ Schüler-Wettbewerb: So geht Debattieren im Landtag

Sachlicher Austausch von Argumenten — Schüler zeigen, wie politischer Streit auch ausgetragen werden könnte.

„Jugend debattiert“: Schüler-Wettbewerb: So geht Debattieren im Landtag
Foto: Landtag NRW/Bernd Schälte

Düsseldorf. Debatten im Landtag laufen nach einem wiederkehrenden Muster ab, das sich mit zunehmender Nähe zum Wahlkampf immer schärfer herausbildet. Die Opposition beantragt zum Beispiel eine Aktuelle Stunde zu einem Thema, an dem ihre Redner darstellen können, dass die Regierung versage und daher das Land am Boden liege. Die Abgeordneten, die die Regierung verteidigen, zeigen mit dem Finger auf die Angreifer — diese würden doch nur das eigene Bundesland schlechtreden. Und überhaupt, als diese selbst an der Regierung waren, hätten sie doch die Ursache für alle Übel gelegt. Gewürzt mit verbalen Tiefschlägen redet man dann eine oder zwei Stunden aneinander vorbei, ohne wirklich auf die Argumente des anderen einzugehen.

Zwei Doppelstehpulte, sachliche Debatten — die Jugendlichen machten gestern im Landtag vor, wie es geht.

Zwei Doppelstehpulte, sachliche Debatten — die Jugendlichen machten gestern im Landtag vor, wie es geht.

Foto: Landtag NRW/Bernd Schälte

Am Montag ist es mal anders. Ganz anders. Für zwei Stunden treten nämlich acht Schüler vor die Mikrofone in der Landtagsarena und zeigen eine erfrischend andere Debattenkultur. Bei der Endausscheidung auf Landesebene für den Wettbewerb „Jugend debattiert“ geht es darum, so die Ausrichter, das Debattieren zu lernen. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die gewählten Abgeordneten könnten sich in mancher Hinsicht eine Scheibe von der dort gebotenen Debattenkultur abschneiden.

Schon die räumliche Positionierung der Redner macht eine sachbezogene Auseinandersetzung mit den diskutierten Streitthemen einfacher. Statt eines einzelnen Redners frontal vor dem Plenum sind da zwei Stehpulte, an denen zwei Zweierteams mit engem Blickkontakt gegeneinander antreten und Argumente austauschen. Zu durchaus anspruchsvollen und hoch aktuellen Themen. Die Redner der Klassen 8 bis 10 diskutieren die Frage: „Sollen zugewanderte Kinder und Jugendliche für eine demokratische Grundbildung eigenen schulischen Rechtskunde-Unterricht erhalten?“ Und die Kontrahenten der Klassen 11 bis 13 streiten sich über die Frage: „Soll auch für anerkannte Flüchtlinge eine Wohnsitzauflage eingeführt werden?“

Bei beiden Themen hören sich die Teilnehmer gegenseitig zu, verzichten völlig auf Polemik, nehmen Bezug auf- einander, reagieren auf die Argumente der Gegenseite und versuchen diese zu widerlegen. Das hat alles, was eine für den Zuhörer gewinnbringende Debatte ausmacht.

Der Plenarsaal des Landtags ist an diesem Tag mit zahlreichen Mitschülern und Lehrern der debattierenden Jugendlichen gefüllt — eine durchaus einer Landtagsdebatte entsprechende Kulisse. Wichtiger Unterschied: Applaus während der Argumentation ist verboten. Auch die sonst in diesem Auditorium üblichen, mehr oder weniger geistreichen Zwischenrufe. Und: Kein Zuhörer hört demonstrativ weg, indem er sich mit Tablet-Computer, Smartphone oder irgendwelchen Akten befasst. Die Aufmerksamkeit ist greifbar.

„Hut ab für die Leistung“ , sagt Landtagspräsidentin Carina Gödecke später, und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) stellt gar „Bundesrats-Niveau“ fest.

Bestens vorbereitet tauschen die Schüler all die Argumente aus, die auch die Politik beschäftigen, die solche Fragen ja tatsächlich zu entscheiden hat. Bei Thema Nummer eins geht es vor allem darum, ob ein Rechtskunde-Unterricht nur für zugewanderte Schüler diese diskriminiere. Und beim zweiten Thema wird das Pro und Kontra unter Bezugnahme auf Studien und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausgetauscht. Den Schülern ist anzumerken, dass sie — wie die Politiker im richtigen Leben — auf Einwände der Gegenseite vorbereitet sind. Und diese zu widerlegen versuchen, ohne aber die Gegenspieler persönlich zu attackieren.

Während in der bunten Welt des Fernsehens Möchtegern-Supermodels gegeneinander antreten oder mehr oder minder talentierte Sänger bekannt zu werden versuchen, ist dieser Wettbewerb weniger populär, aber viel tiefgründiger. Das betont auch Landtagspräsidentin Carina Gödecke, die die Schüler ermutigt: Die Kunst der Debatte, die Fähigkeit, andere mit Worten zu überzeugen, sei nicht auf die Kaste der gewählten Parlamentarier beschränkt. Es gehe um differenzierte Argumentation, es gehe ums Zuhören. Und hinsichtlich der Sitzungen der Profis im Landtag, die Gödecke ja regelmäßig leitet, sagt sie selbstkritisch, „dass es da nicht immer um die hohe Kunst der Debatte geht, sondern manchmal auch um den brutalen Schlagabtausch“. Und sie appelliert auch an die Kollegen, wenn sie sich wünscht, dass die aufrechten Demokraten in den schwierigen Zeiten zusammenstehen und auch mal parteipolitische Grenzen beiseite lassen sollten. „Es geht um viel. Es geht darum, ob wir auch nach wie vor in einem demokratisch verfassten Europa leben oder ob Rechtspopulisten stärker werden.“ Je mehr junge Leute in der Lage seien, differenziert zu argumentieren, zuzuhören und damit auch Botschafter der Demokratie würden, umso besser sei es. Gödecke: „Von mir aus könnte jede Woche ,Jugend debattiert’ im Landtag stattfinden.“

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