WM im Hässlichtanzen: Schlimmer geht immer

Hamburg (dpa) - An diesem Abend steht alles im Zeichen des schlechten Geschmacks. Bereits Stunden vor Beginn des zweiten „Ugly Dance World Cup“ (UDWC) drängeln sich am Samstag hunderte Menschen in hautengen Ganzkörperkostümen, abgerissenen Flanellhemden oder neonfarbenen Aerobicanzügen am Eingang eines alten Bunkers.

Auch auf der Tanzfläche im fünften Stock sucht man Grazie und Eleganz vergebens. Denn an diesem Abend geht es in Hamburg um das genaue Gegenteil: Gesucht wird der Weltmeister im Hässlichtanzen.

„Wir werden Champions“, nuschelt ein Mann namens „Horst“ durch seinen Schnurrbart. Dabei ist er eigentlich eine Frau und gehört zum Team „Trendy, fesch und hip in Hamburg“. Zusammen mit ihren drei Freundinnen will „Horst“ den WM-Titel holen. „Dafür haben wir lange nicht geübt, das sollte reichen.“ Insgesamt zehn Mannschaften aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz treten gegeneinander an. Die Teams heißen etwa „Jamp Aachen, wa“, „Chuckelines of Norris“ oder die „Woidboyz“ aus Bayern. Die Lederhosenträger waren schon 2009 dabei und erreichten Platz zwei.

Idealerweise besteht ein Team aus zwei bis vier Leuten, die in Personalunion Choreographen und Tänzer sind. Die einfache Regel: Auf der Bühne müssen sie zeigen, was sie nicht können - Tanzen. Natürliche Eleganz und Rhythmusgefühl sind da eher hinderlich. Um eine Runde weiterzukommen, darf den Anti-Helden nichts peinlich sein. Stattdessen ist voller Körpereinsatz gefragt, um die Jury zu überzeugen - sie besteht aus den amtierenden Hässlichtanz-Weltmeistern und zwei Publikumsgästen. Im Finale entscheiden dann alleine die Zuschauer: Wer am lautesten ausgebuht wird, gewinnt.

Schon der erste Worldcup vor einem Jahr war ein Erfolg - oder im UDWC-Jargon: ein glatter Reinfall. „Der Menschenandrang war enorm“, erinnert sich Christian Müller, der den Wettkampf mit drei Freunden erfunden hat. „Damals hatten wir keine Lust mehr auf den weltweiten langweilig-coolen Einheitstanz, der in Hamburg so aussieht wie in New York.“ Die Erleuchtung kam eines Tages ganz spontan. Die vier spielten auf der Tanzfläche eines Clubs Flaschendrehen: Wen es traf, musste seine beklopptesten „Dance-Moves“ zeigen. Kurze Zeit später bestand der Kreis plötzlich aus 80 Leuten. „Da wussten wir“, sagt Müller grinsend, „die Zeit ist reif für eine Weltmeisterschaft.“

Zum Sieger krönt das Publikum an diesem Abend eindeutig vier Jungs aus der niedersächsischen Provinz, die sich „Die Dezentiner“ nennen. Erst in diesem Sommer haben sie ihr Abitur gemacht, jetzt sind sie Weltmeister. An eine so steile Karriere haben die Freunde nicht geglaubt. In ihrem Bewerbungsvideo zeigten sie ihren bis dahin noch öden Alltag: Ihre Freizeit verbrachten sie vor allem auf einem Supermarktparkplatz ihrer Heimatstadt Vechta. Das soll sich nun ändern, so Teamsprecher Timo Middendorf: „Welt, wir kommen.“

Überzeugt haben die vier beim UDWC mit 90er-Jahre-Tristesse und clownesker Debilität. Staksiger Storchengang, ungewollt akrobatische Verbiegungen und schüchterne Ausgelassenheit sind ihr Markenzeichen. Ihren Stil nennen sie eine Mischung aus „Elektropop-Techno-Hardcore-Tanz und reduziertem Wahnsinn mit 90er-Jahre-Einfluss“. Vorbilder haben die Sieger nicht. „Wir beeinflussen uns gegenseitig“, erzählt Middendorf selbstbewusst. „Mit unserer Begabung sind wir bis jetzt aber immer diskret umgegangen.“

Vielleicht überzeugen die „Dezentiner“ gerade mit ihrer „Weniger ist mehr“-Haltung. Dagegen gleicht der Striptease-Tanz der Finalgegner vom Team „Inferno Ragazzi“ einem choreographischen Feuerwerk. „Muss ja nicht immer gleich das ganze Programm sein“, weiß Mitveranstalter Müller. „Sonst wird es schon wieder zu professionell.“ Die Schönheit des Hässlichen liege ja gerade im Ausgelassenen, sinniert er.

Nach der Entscheidung denken die Veranstalter schon an kommendes Jahr. Dann soll der Wettkampf - gemäß dem Motto „größer, schlechter, hässlicher“ - expandieren und zuerst in Vorauswahlwettkämpfen in internationalen Metropolen stattfinden, bevor es zum Finale erneut an die Elbe geht. „Dann heißt es wieder: You say ugly, we say dance“, sagt Müller (Du nennst es hässlich, wir nennen es tanzen).

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