Ein Atelierbesuch beim Luxushersteller

Paris (dpa) - Die kurioseste Bestellung, an die Valérie Benardeau sich erinnern kann, war eine kleine grüne Tasche in Form eines Apfels - eine Apfeltasche. Also ein auf das Obst maßgeschneidertes Behältnis, an dem man auch ein passendes Messerchen befestigen konnte.

„Der Auftraggeber wollte einen Freund beschenken, der dauernd Äpfel aß“, erzählt die Täschnerin aus dem Atelier für Spezialanfertigungen des französischen Luxusmodehauses Hermès. Damit die Innenschale aus gehämmertem Silbermetall und die Außenhaut Aus Leder eine perfekte Rundung aufwiesen, habe einer der Mitarbeiter täglich Äpfel gekauft, um das Produkt anzupassen. Solche Mühen gehören, so scheint es, dazu, wenn ein ohnehin teures Luxushaus eine Werkstatt für Sonderobjekte betreibt.

Sich ein solches Unikat machen zu lassen, gilt bei reichen Modebewussten in Paris als Gipfel stilvoller Lebensführung. Nur wenige große Marken verfügen noch über echte eigene Ateliers dafür. Als die Luxusgruppe Moët Hennessy Louis Vuitton (LVMH) im vergangenen Oktober zu sogenannten „Journées Particulièrs“ mit dem Besuch historischer Ateliers lud, standen die Interessenten Schlange.

Kein Wunder, dass viele das Vuitton-Atelier in Asnières oder das der Spezialanfertigung vorbehaltene Atelier von Hermès in der Rue du Faubourg Saint-Honoré als Heilige Hallen des Ledergewerbes betrachten.

Von Hand werden hier individuell erstellte Produkte gefertigt. Wer die oberhalb des Hermès-Stammgeschäftes gelegenen Räumlichkeiten besucht, kann zunächst jedoch etwas enttäuscht sein. Auf den ersten Blick wirken sie eher nüchtern: als eine Mischung aus Werkstatt und Büro mit viel Licht und wenig Dekor. Doch spätestens wenn die fast meditative Atmosphäre spürbar wird, fällt es schwer, sich dem Zauber dieses Ortes zu entziehen.

„Es gibt keine typische Kundschaft für Spezialbestellungen. Es kommen ganz verschiedene Menschen“, sagt Wilfried Guerrand, Generaldirektor für Europa von Hermès. So variiere auch der Preis, der sich nach zeitlichem Aufwand und Material richte.

Väter mit kleinerem Budget lassen ihren Söhnen ein Portemonnaie herstellen. Jäger kommen, um aus der Haut von ihnen geschossener Tiere eine Tasche fertigen zu lassen. Pariser Damen bestellen Handtaschen in besonderen Farben.

„Jeder Kunde wir von uns von Anfang bis zum Ende betreut“, erzählt Valerie Benardeau. Der Preis wird vorab berechnet, der Handwerker lässt einen Entwurf zeichnen und bespricht diesen mit dem Kunden. „Wenn ein Produkt nicht zu realisieren ist“, sagt die Täschnerin, „machen wir einen Gegenvorschlag“.

Aktuell arbeitet sie an einer Tasche, die einem an Diabetes leidenden Kunden gehört. Er wünsche eine Umarbeitung, um unkompliziert an seine Medikamente zu kommen. Doch für den vordergründig einfachen Wunsch braucht es eine Woche Arbeit.

Eine Tasche, erklärt Valérie, sei vom Vorderteil her aufgebaut. Und da genau dieses verändert werden müsse, betreffe die Arbeit das gesamte Stück. Insgesamt arbeiten sechs Handwerker im Atelier. Die Kapazitäten sind somit begrenzt, was die Produkte noch begehrter macht.

Neben der Taschenwerkstatt liegt das Atelier für maßgeschneiderte Sättel. Seit über 130 Jahren werden am Faubourg Saint-Honoré Sättel gefertigt. 1878 kaufte Charles-Émile Hermès, der Sohn des Gründers, das Gebäude. Die Handwerker, die dort arbeiten, reiten selbst. Bei über 4000 Euro liegt der Einstiegspreis für einen Hermès-Sattel - also beim Zwei- oder Dreifachen von manch einem anderen neuen Reitsattel. Sonderwünsche kommen je nach Aufwand zu dem Preis noch hinzu.

So aufwendig die Edel-Sättel auch gearbeitet sind - die originelleren Spezialanfertigungen findet man sicher im Archiv der Taschenmacher. „Für mich war vielleicht die spektakulärste Anfertigung eine spezielle Gitarrentasche aus Krokodilshaut“, meint Wilfried Guerrand. Doch eigentlich sei die Apfeltasche die poetischere Bestellung gewesen.

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