Pastor Matthias Krämer von den Halligen

Matthias Krämer ist Pastor auf den nordfriesischen Halligen. Dort bestimmt das Meer, wann die Kirche öffnet.

Langeneß. An Heiligabend hat Pastor Matthias Krämer den wohl ungewöhnlichsten Weg zu einem Gottesdienst in ganz Deutschland. Mit seiner Lore — einem mit Benzinmotor betriebenen kleinen Gleisfahrzeug — will der 49-Jährige von seiner Kirchengemeinde auf der größten nordfriesischen Hallig Langeneß mit gut 100 Einwohnern fast vier Kilometer durchs Watt zur kleinen Nachbar-Hallig Oland mit 15 Bewohnern fahren.

„Im Winter musst du dich schon warm anziehen für die Fahrt auf der offenen Lore“, sagt der evangelische Geistliche. Die Uhrzeit des Gottesdienstes richtet sich nach den Gezeiten. Und wenn ihm eine andere Lore auf dem einspurigen Gleis begegnet? „Da gibt’s klare Regeln: Die Mitte der Strecke ist markiert, wer die passiert hat, hat gewonnen.“ Der „Verlierer“ muss zurückfahren.

Nach dem Gottesdienst auf Oland geht’s schnell zurück nach Langeneß. In seiner Kirche dort wird dann ebenfalls Weihnachten gefeiert. Keine Messe gibt es dieses Jahr auf der Hallig Gröde mit acht Bewohnern. Normalerweise setzt der Pfarrer mit dem Postboot über. Aber dieses Jahr kommt die Flut an Heiligabend erst abends in der Dunkelheit, und das Boot hat kein Radar.

Krämer stammt aus Wentorf im Kreis Herzogtum Lauenburg. 25 Jahre lang lebte er in Hamburg-Altona, bevor er 1994 nach Langeneß kam. Neben ihm gibt es noch einen weiteren Pfarrer für die Halligen. „Dass wir auf den nordfriesischen Halligen zwei Pastoren haben, ist schon ein gewisser Luxus“, sagt Krämer. „Aber wer hier zur Kirche gehen will, hat keine andere Gelegenheit.“ Bis zu 30 Mal im Jahr ist Langeneß „Land unter“, überflutet von der stürmischen Nordsee — bis auf die 18 Warften, künstliche Erdhügel, auf denen die Einwohner in ihren Häusern leben.

„Als Pastor teilst du hier das Leben mit den Menschen, das ist anders als auf dem Festland“, sagt er. „Hier kann ich jeden zum Geburtstag besuchen.“ Wenn jemand stirbt, geht das Krämer „schon sehr, sehr nah, weil man ja eine lange gemeinsame Geschichte hat“. Neben Taufen (selten) und Konfirmationen (zwei) hält Krämer auch zwei bis vier Hochzeitsgottesdienste im Jahr: „Da kommen manche Paare extra vom Festland, um sich auf einer Hallig zu trauen.“

Die von Wasser und Wind geprägte Natur der Halligen und der Menschenschlag sind ihm ans Herz gewachsen. „Es sind hier sehr offene Menschen, die aber nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“ Neun von zehn Bewohnern sind evangelisch, durchschnittlich kommen — Urlauber mitgerechnet — 30 Menschen zu den Gottesdiensten. Neben der Kirche befinden sich auch das Pfarrhaus, der Friedhof und die Schule auf der Kirchwarft. 18 Kinder lernen dort, in zwei Klassen. Krämer gibt den Religionsunterricht.

„Alle Schülerinnen und Schüler nehmen teil, das ist nicht selbstverständlich“, sagt Krämer ein wenig stolz. Gern macht er Bibelgeschichten zum Thema, die Bezug zum Leben der Kinder auf der Hallig haben: Wie Jesus auf dem See Genezareth den Sturm bändigte und so seine Jünger im Boot beruhigte. „An diesen biblischen Geschichten sind die Kinder auf der Hallig sehr viel näher dran als in der Stadt.“

Trotz Sparzwängen steht die Nordkirche zur Seelsorge auf den Halligen. „Unsere Gemeindemitglieder sollen das Wort verkündigt bekommen, dies gilt auch für die Halligen“, sagt. Kirchensprecher Frank Zabel. „Kirche muss dort sein, wo die Menschen sind.“

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