Koch Alessandro Pape: Drei Sterne kosten zu viel Blut

Alessandro Pape stammt aus Neuss. Im "Fährhaus" auf Sylt bekocht er die Reichen und Schönen. Die Familie sorgt dafür, dass sein Ehrgeiz im Reich der Sterne Grenzen kennt.

Dilara-Alessia und Ilayda-Zara gehören mit Sicherheit zu den am besten ernährten Kindern in Deutschland. Ihre aus der Türkei stammende Mutter bereitet den Mädchen im Alter von sechs und anderthalb Jahren die herrlichsten Mahlzeiten aus der mediterranen Heimat zu. Und für die Snacks zwischendurch - mal eine dicke Olive, mal ein Stück Edelfisch - sorgt ihr Vater, Sternekoch auf der Promi-Insel Sylt.

"Ich habe mit meinen Kindern ein Abkommen getroffen", erzählt Alessandro Pape. "Sie müssen alles probieren, aber wenn es ihnen nicht schmeckt, dürfen sie es auch vor aller Augen über den Tisch spucken." Bislang sei das aber noch nicht vorgekommen. Und wenn sie denn unbedingt wollen, lässt er seine zierlichen Töchter auch mal in einem Fast-Food-Lokal in einen großen Burger beißen und fettige Pommes frites mampfen.

Pape selbst wächst mit einfacher, aber guter Hausmannskost auf. "Es gab Rouladen, Sauerbraten, Eisbein oder Gemüsesuppe", schwärmt er an einem Tisch seines Restaurants "Fährhaus" von den kulinarischen Klassikern der Kindheit. Seine Eltern - die Mutter ist Rheinländerin, der Vater kommt von der Insel Sardinien - legen großen Wert aufs Essen.

Es ist ein weiter Weg von Neuss-Weckhoven nach Sylt-Munkmarsch - und das nicht nur in geographischer Hinsicht. Der Mann, der heute in einem Spitzenhotel mit Nordseeblick die Gaumen der Reichen und Schönen verwöhnt, verbringt die Schulzeit in einem Viertel mit dem hässlichen Etikett "Sozialer Brennpunkt". Missen möchte er die Zeit zwischen 60er-Jahre-Bausünden aber auf keinen Fall: "Ich ging einfach aus dem Haus und traf sofort Freunde."

Zu den Kumpels aus vergangenen Tagen hat der 34-jährige Küchenchef so gut wie keinen Kontakt mehr. Als er nach dem Realschulabschluss nicht wie andere aus der Clique eine technische Ausbildung beginnt, sondern sich an den Profi-Herd stellt, trennen sich die Wege fast zwangsläufig: Wenn seine Freunde feiern oder schlafen, muss er arbeiten.

"Ich weiß nicht mehr genau, wie das alles gekommen ist, aber plötzlich stand ich in einer Küche", sagt er über die wohl größte Zäsur in seinem Leben.

Die Lehre macht er im Swissôtel Düsseldorf/Neuss, und auch während des Zivildienstes im Krankenhaus hat er einen Job in einem Restaurant - "Vollzeit", wie er betont.

Nach Stationen im Essener "Résidence" und im Düsseldorfer "Hummer-Stübchen" erreicht Alessandro Pape 1999 den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere: Mit 25 Jahren tritt er auf Sylt die Nachfolge des heutigen Drei-Sterne-Kochs Juan Amador an - und kündigt erstmal dem kompletten Team.

"Die Mitarbeiter waren fixiert auf den alten Küchenchef", erläutert er diesen harten Schnitt. "Dann habe ich mir eine neue, eine eigene Mannschaft zusammengestellt."

Fast 30 Menschen arbeiten derzeit in dem großen Küchenbereich im "Fährhaus"-Keller. Überall wird gerührt, geschnibbelt, abgeschmeckt. Und mittendrin dirigiert der Chef, der bei der täglichen Lieferung der Waren auch schon mal an jedem einzelnen Fisch schnuppert. Zwar hebt Pape die Bedeutung des Teams hervor, sagt aber auch: "Küche ist in der Regel Demokratie, aber es gibt Situationen, da braucht’s eine Diktatur."

Der Anspruch bei über hundert Euro für ein Sieben-Gang-Menü ohne Getränke ist hoch: "Da sitzt jemand, der das Beste erwartet - und diesen Anspruch stellen wir auch an uns." Vielleicht ist ja sogar ein Kritiker, etwa vom berühmten "Guide Michelin", unter den Gästen. "Bei Bestellungen von Einer-Tischen wird man misstrauisch", gibt Pape zu. Aber niemand bekomme deshalb mehr auf den Teller. Man dürfe nicht "zu viel Bohei" darum machen.

Überhaupt scheint Pape auf dem Teppich geblieben zu sein, gibt sich unbeeindruckt vom Luxus in seiner Umgebung. "Das Einzige, was mich dazu bringen könnte, die Insel zu verlassen, ist die Dekadenz", lautet im Gegenteil seine überraschend offene Kritik am protzig zur Schau gestellten Reichtum.

Bei der Arbeit im Hotel-Restaurant spüre er diese Dekadenz aber nicht, schiebt er dann doch noch hinterher.

Die wenigen Stunden pro Woche ohne "Canneloni von Gänsestopfleber und Quittengelee auf Trüffel-Lauchsalat" oder "Vanillejoghurt mit Broccolikresse in Exoticvinaigrette" verbringt er nicht an den einschlägigen Sylter Treffpunkten wie "Whiskymeile" oder "Buhne 16". Lieber liest er Zeitungen und historische Romane, spielt mit seinen Kindern oder genießt türkische Ravioli mit Hacksoße und Joghurt, "die bei meiner Frau Filiz einfach sensationell schmecken".

Die Familie, das sagt Pape mehrfach, ist ihm unheimlich wichtig. Ihr opfert er sogar den Traum jedes Kochs: drei Sterne im "Michelin". "Dafür müsste ich einfach zu viel Blut lassen", erklärt er. "Und bevor ich verblute, sage ich lieber nein."

Einen zweiten "Michelin"-Stern und 18 Punkte im "Gault Millau", der anderen Feinschmecker-Bibel, möchte er aber schon erkochen. Momentan hat das "Fährhaus" 17 von 20 Punkten.

Doch auch der Kampf um "nur" zwei Sterne hat seinen Preis: Nachts schlafe er nie länger als fünf Stunden, und mittags mache er nur einen kurzen "Power-Schlaf", der rund 20 Minuten dauere. "Wir sind Masochisten", urteilt Pape über seinen Berufsstand. Und verschwindet wieder in der Küche.

NACHGEFRAGT

Herr Pape, was ist Ihre größte Stärke?

Ehrgeiz und die Fähigkeit, andere Menschen zu motivieren

... und Ihre größte Schwäche?

Schokolade - eine Tafel am Tag

Was bringt Sie in Rage?

Wenn man nicht zu seinen Fehlern steht

Welche Eigenschaft schätzen Sie an Ihren Mitarbeitern besonders?

Teamgeist und Geduld mit mir

Ihre Lieblingsspeise?

Tomatenbrot um halb zwei morgens nach getaner Arbeit

Ihr liebstes Urlaubsziel?

Es wären wohl die Lofoten

Welchen Roman könnten Sie immer wieder lesen?

"Der Name der Rose" von Umberto Eco

Wie beruhigen Sie sich in stressigen Situationen?

Ich bin schon sehr viel ruhiger geworden - noch ruhiger möchte ich nicht sein, denn ich brauche den Stress.

Was ist für Sie Glück?

Meine Familie - und ein Lächeln

Ihr Lebensmotto?

Vergiss’ nicht, irgendwann zu leben

Welchen Typ Gast haben Sie am liebsten?

Den Gast, der ehrlich sagt, wie es ihm gefallen hat

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