Karajan: Er tat, was der Karriere dienlich war

Der Österreicher gilt als berühmtester Dirigent des 20. Jahrhunderts. Heute wäre der ebenso verehrte wie umstrittene Maestro 100 Jahre alt geworden.

Bei Orchestermitgliedern löste die Anwesenheit Herbert von Karajans Furcht und Bewunderung aus, Konzertbesucher himmelten den gerade mal 1,63 Meter großen Maestro an, und mancher Kollege konnte den Pultstar mit den zum Hahnenkamm frisierten Haaren nicht ausstehen. Sergiu Celibidache zum Beispiel sagte einmal süffisant, Karajan sei ein Phänomen, das die Massen begeistere - so wie Coca Cola. Dagegen verehrte Carlos Kleiber den aus Salzburg stammenden Dirigenten ganz außerordentlich und wurde zuweilen in Gedanken versunken am Grab des Meisters im nahe Salzburg gelegenen Anif gesichtet.<p>Der Österreicher gilt als berühmtester Dirigent des 20. Jahrhunderts. Die enorme Popularität, die über das eigentliche Klassik-Publikum hinausreicht, lässt sich aber nicht allein auf die musikalische Leistung zurückführen. Erheblichen Anteil am Ruhm besitzt die Kultmarke, zu der Karajan seine eigene Person stilisierte. Um das zu erreichen, bedurfte es einer professionellen Selbstvermarktung.

Da ist etwa die mit rheinischer Bodenständigkeit ausgestattete Sängerin Christa Ludwig, die kürzlich 80 Jahre alt wurde. Als Jahrhundertstimme konnte sie es sich erlauben, den Gefürchteten um ein anderes Tempo zu bitten. Während der Aufnahmesitzung zu Beethovens "Missa Solemnis" schickte ein anderes berühmtes Mitglied des Gesangssolistenquartetts, Gundula Janowitz, die Ludwig vor, als es um die Bitte ging, das "Benedictus" weniger langsam zu dirigieren.

Karajan entgegnete barsch: "Wenn Sie es nicht singen können, muss ich mir eben bessere Sänger holen." Doch Christa Ludwig konterte selbstbewusst: "Bessere als uns kriegen Sie nicht." Und Karajan war realistisch genug, nun einzulenken - zu seinem eigenen Vorteil.

Karajan tat oft das, was seiner Karriere diente. Und da seine frühen Jahre in die Zeit des Nationalsozialismus fielen, konnte es für ihn nur nützlich sein, in die NSDAP einzutreten. Das tat Karajan gleich zweimal: Zunächst im April 1933 in Salzburg. Diese Mitgliedschaft soll wegen fehlender Beiträge aber nie vollzogen worden sein. Im März 1935 trat Karajan der Partei in Aachen noch einmal bei.

Es sollte dann noch drei Jahre dauern, bis er sein Ziel erreichte, am Pult der Berliner Philharmoniker zu stehen. Die Karajan-Biografen, darunter Peter Uehling (Rowohlt, 2006), betrachten den Dirigenten als Opportunisten, über den es aber keine konkreten Hinweise auf eine ideologische Affinität zum Regime gebe.

Bekannt wurde aber, dass Nazi-Größen wie Goebbels und Göring ihre Freude an dem jungen Kapellmeister hatten. Der dynamische Perfektionist passte wohl noch etwas besser ins Bild als ein sperriger Charakter wie Wilhelm Furtwängler, dem es überdies mehrere Jahre hintereinander gelang, zu "Führers Geburtstag" verhindert zu sein.

Bei Karajan stand auch nach dem Krieg alles im Zeichen des Erfolges. Mit dem Klassik-Produzenten der Londoner EMI, Walter Legge, nahm er viele Schallplatten auf, deren Beliebtheit bis in die heutige Zeit andauert. Neben Symphonien und Konzerten wurden vor allem Opern eingespielt. In den 50er Jahren standen dafür die besten Sänger zur Verfügung, darunter Maria Callas, Elisabeth Schwarzkopf und Nicolai Gedda.

Von allen Beteiligten verlangte Karajan absolute Fehlerlosigkeit und zog einen Vergleich heran, der manchen Musikerkollegen irritierte: Ein Orchester müsse so präzise funktionieren wie ein Ferrari-Motor. Der Liebhaber schneller Autos und leidenschaftliche Privatjet-Pilot war mit seinem Hang zum Technischen einem Dirigenten wie Furtwängler, der auf Verinnerlichung und Expressivität sann, ein Greuel.

"Karajan hatte so ein Charisma, dass man dachte (auch wenn man mit ihm geflogen ist), es kann einem nichts passieren. Er war wie der liebe Gott."

Christa Ludwig, Sängerin

"Sein Klang hat eine zeitlose Qualität. Er besaß die Fähigkeit, aus einem Orchester eine Einheit zu formen, ein Instrument zu schaffen, das über eine Klangkultur verfügt und über eine Spielweise, die unverwechselbar ist."

Anne-Sophie Mutter, Geigerin

"Karajan begeistert die Massen - Coca Cola auch."

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