Interview mit dem Autoren Philipp Tingler: Ich scheine zu polarisieren

Philipp Tingler, in der Schweiz lebender Autor aus Berlin, äußert sich über die Bedeutung der Ökonomie, missglückten deutschen Humor und seine Verehrung für Thomas Mann.

Dass Philipp Tingler gerne an seinem Körper arbeitet, ist nicht zu übersehen. Auf dem Coverfoto seines neuen Buches "Leute von Welt" sitzt er mit Bizeps, Tanktop und Trainingshosen auf einem Sofa. Ist das jetzt eitel oder ironisch? Tingler-Texte findet man toll oder einfach nur schlecht. Dazwischen gibt es nichts. <strong>Wie kommt ein Student der Wirtschaftswissenschaften zur Schriftstellerei?

Tingler: Die Frage ist eigentlich: Wie kommt ein Schriftsteller zur Ökonomie? Ich habe ja schon immer geschrieben und nicht irgendwann mal damit angefangen. Ich wollte aber was Ordentliches machen, denn ich habe so eine bodenständige Ader. Die späten 80er Jahre, in denen ich mich zum Wirtschaftsstudium entschloss, waren eine Zeit, in der man noch "Manager" werden wollte. Übrigens bin ich froh, dass ich Ökonomie studiert habe. Die Ökonomie ist ja heutzutage die herrschende Sphäre, ob man das gut findet oder nicht. Ich persönlich halte es für einen Fortschritt gegenüber den Zeiten, da die Religion die herrschende Sphäre war. Ich hätte auch ungern Germanistik oder so was studiert. Mein zweites Fach war Philosophie, und schon da fand ich die Debatten über Faktizität und Geltung bisweilen nervtötend. Aber bei Germanistik hätte ich mir dauernd von anderen Leuten irgendwelche Deutungen meiner Lieblingsbücher anhören müssen, und so was konnte ich schon in der Schule nicht leiden.

Wenn Wortmeldungen von Germanistikstudenten für Sie schon schwer zu ertragen sind, wie ist dann Ihr Verhältnis zu den Schriftstellerkollegen?

Tingler: Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die meisten furchtbar finde. Es gibt einfach wahnsinnig viel Mist unter der zeitgenössischen Literatur, von überkommener Befindlichkeitsprosa, die einfach nicht zu existieren aufhört, über geistloses Postpopschnöseltum bis hin zu so genannten frechen Frauen. Ironie und Humor gelten in der deutschsprachigen Literatur immer noch als sehr suspekt - und beinahe möchte man sagen: zu Recht, wenn man sich die Humorversuche von irgendwelchen Kolumnisten ansieht. Und auf der anderen Seite gibt es diesen absoluten Schrott, der als Komik durchgeht, zum Beispiel wahnsinnig schlecht geschriebene deutsche Sitcoms, meist als erbärmliche Kopien angelsächsischer Originale, oder dieser 80er-Jahre-Bundeswehr-Humor von Michael Herbig oder Stefan Raab.

Ihr Humor ist aber auch nicht jedermanns Sache.

Tingler: Offenbar nicht. Ich scheine irgendwie zu polarisieren. Es gibt Menschen, die geradezu körperlich abwehrend auf meine Hervorbringungen reagieren. Üblicherweise kommen mir solche Leute dann mit "extremer Oberflächlichkeit" oder "diffamierenden Menschenbildern" und solchem Schmus. Das heißt: Sie verwenden irgendwelche moralischen Kriterien. Die sind aber für literarische Urteile unbrauchbar. Aber so was versteht jemand wie Denis Scheck nicht.

Apropos Denis Scheck: In Ihren Büchern überziehen Sie diesen einflussreichen Literaturkritiker und andere Persönlichkeiten des heutigen Kulturbetriebs mit beißendem Spott. Woher kommt der Zorn?

Tingler: Hm. Langsam erscheine ich in diesem Interview wie ein Monster. Deshalb möchte ich gerne mit was Positivem beginnen: Es gibt viele Leute, auch im Kulturbetrieb, die ich großartig finde und bewundere. Zum Beispiel finde ich Helmut Dietl gut. Oder Anke Engelke. Was ich hingegen bei Menschen, ob sie nun im Kulturbetrieb agieren oder sonst wo, grundsätzlich kritikwürdig finde, ist, wenn jemand keinen Abstand zu sich selbst hat. Wenn jemand zu Selbstironie nicht imstande ist. Nun nehmen Sie zum Beispiel jemanden wie Herrn Raddatz. Wenn jemand so piefig ist wie Herr Raddatz, so unsicher und humorlos, und gleichzeitig in seiner fürchterlichen Autobiographie die ganze Zeit schreibt, wie mondän und glamourös er sei, so ist das nicht nur peinlich, sondern schreit auch nach einem kleinen Dämpfer.

Einen Tusch spielen Sie aber immer wieder auf Thomas Mann.

Tingler: Meine Verehrung ist nicht besonders originell, denn Thomas Mann schätzen ja viele. Thomas Mann hat in seinem Leben und Werk so ziemlich alles richtig gemacht und sich selbst als Glückskind verstanden - auch wenn er sicherlich nicht sehr glücklich war. Er hatte aber diese Disziplin. Da hat jemand seine Anlagen erkannt und weitestgehend ausgeschöpft. Ich bewundere so was.

Was lesen Sie sonst noch gerne?

Tingler: Fontane, Kästner, Goethe, Heine, Alfred Kerr. Ich mag auch die amerikanische Literatur wie die famosen Essays von Fran Lebowitz oder die Gesellschaftsromane von Dominick Dunne, den ich übrigens auch als Person überaus faszinierend finde. Ansonsten lese ich zwischendurch auch gerne Theaterstücke, zum Beispiel von Noël Coward, und ich halte Billy Wilder für einen der größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts.

Deutsche Sitcoms mögen Sie ja offenbar nicht. Aber in Ihren Büchern kommen manchmal Zitate aus amerikanischen Stegreifkomödien vor wie "Die Nanny".

Tingler: "Die Nanny" ist großartig! Aber es gibt viele großartige amerikanische und englische Sitcoms, ob sie nun eher drastisch und ein bisschen slapstick-orientiert sind wie "The Nanny" oder eher Reality-Formate parodieren wie "The Office" oder "Fat Actress" oder eher psychologisch ausgerichtet sind wie "Seinfeld" oder "Curb Your Enthusiasm".

Sie spotten häufig über Äußerlichkeiten. Sagen die denn etwas über Menschen aus?

Herr Tingler, womit tun Sie sich nach einem langen Arbeitstag etwas Gutes?

Ich lege mich mit Richie und einer Tüte Fruchtgummi aufs Sofa und wir schauen eine Episode von Tori Spellings Sitcom "So Notorious".

Ihre persönliche Stärke, Ihre größte Schwäche?

Ich nehme kein Blatt vor den Mund, ich nehme kein Blatt vor den Mund.

Was bringt Sie in Rage?

Leute, die versuchen, sich bei Starbucks vorzudrängeln.

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihren Freunden?

Zuverlässigkeit und ein tiefes Verständnis meiner Psyche.

Ihre Lieblingsspeise?

Ich esse viel, gern und, wenn man Richie fragt, andauernd. Zum Beispiel schätze ich die Berliner Küche: Königsberger Klopse, Kabeljau mit Senfbutter, Hühnerfrikassee.

Ihr liebstes Urlaubsziel?

In Sitges ist es immer sehr lustig. Obwohl es da nur zwei Taxis gibt.

Welches Buch lesen Sie gerade?

Gisela Schlüter: "Lassen Sie mich auch mal zu Wort kommen."

Welche Rolle spielt in Ihrem Leben der Konsum?

Keine kleine.

Was ist für Sie Glück?

Ich lege mich mit Richie und einer Tüte Fruchtgummi aufs Sofa und wir schauen eine Episode von Tori Spellings Sitcom "So Notorious".

Ihr Lebensmotto?

Der Dalai Lama hat mal gesagt: Du kannst nie deinen eigenen Namen reinwaschen, du kannst nur den guten Ruf von jemand anderem ruinieren. Oder war das Joan Rivers?

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