Günter Lamprecht: Mann des Volkes mit Gesellenbrief

Als Schauspieler gehört der Berliner Günter Lamprecht zu den Großen seines Fachs. Seine Karriere startete er allerdings im Handwerk – als Orthopädiemechaniker.

Es dürfte keinen zweiten Schauspieler in Deutschland geben, der so stolz darauf ist, dass er (s)ein Handwerk gelernt hat. Günter Lamprecht hat als Schauspieler fast alles erreicht und trotzdem seine Herkunft nie verschwiegen: Er ist gelernter Orthopädiemechaniker.

"Ich war und bin der proletarische Held vom Dienst” - der Schauspieler steht zu seinen Wurzeln: Am 21. Januar 1930 wird Lamprecht in Berlin-Wilmersdorf geboren. Der Vater ist Taxifahrer, die Mutter Portiersfrau, Lamprecht wächst in den 30er-Jahren in proletarischen Verhältnissen auf, seine Jugend wird durch die schrecklichen Erlebnisse des Krieges geprägt. An dessen Ende wird der 15-Jährige als Hilfssanitäter im Kampf um Berlin eingesetzt und verwundet. Die Bergung verwester Leichen macht ihn krank, diese Bilder verfolgen ihn jahrelang.

Trotz des Chaos, in dem Berlin versinkt, funktioniert bald wieder die Arbeitsvermittlung, der 16-Jährige beginnt eine Lehre als Dachdecker. Der Meister macht seinen Lehrling zum Lastochsen, droht ihm sogar Schläge an - Lamprecht schlägt zurück, und so ist die Ausbildung schon nach vier Wochen beendet. Das Arbeitsamt vermittelt ihm nun eine Lehre als Orthopädiemechaniker, diese Arbeit liegt Lamprecht. Vier Jahre lernt er bei der Firma Windler, einem ehemaligen Berliner Hoflieferanten ("Goebbels hat da seinen Humpelschuh machen lassen").

Die Ausbildung ist gründlich, das Gewerbe floriert. Mit sämtlichen Kriegsverletzungen hat der junge Günter täglich zu tun, der Umgang mit den verstümmelten Menschen belastet ihn sehr: "Manchmal habe ich das kaum ausgehalten." Auch dieser Meister ist streng, aber gerecht und deshalb ein Vorbild: "Otto Potenberg habe ich viel zu verdanken."

Nach seiner Gesellenprüfung ("Den Gesellenbrief habe ich heute noch") arbeitet er fünf Jahre als Geselle, spielt sogar mit dem Gedanken an die Meisterprüfung. Als sein letzter Arbeitgeber einen Angestellten entlassen muss, schlägt die Stunde des künftigen Schauspielers. Er tauscht mit dem Kollegen, kündigt seine Stelle. Keiner weiß, dass er seit einiger Zeit Schauspielunterricht nimmt. Die berühmte Schauspiellehrerin Else Bongers erkennt sein Talent, unterrichtet ihn kostenlos und ist mit dieser Einschätzung nicht alleine: Der Handwerker bewirbt sich als Stipendiat an der bekannten Max-Reinhardt-Schauspielschule. Warum er spielen will, fragt ihn die Jury. "Ick will ma vabessern", rutscht es Lamprecht heraus. Er bekommt die Unterstützung der Stadt Berlin.

Am Anfang stehen feste Bühnen-Engagements, er beginnt am Schiller-Theater in Berlin, geht dann nach Bochum, bis 1972 ist er Ensemble-Mitglied an verschiedenen deutschen Bühnen. Danach wird der Unangepasste ("Ich kann nicht anders, als die Wahrheit sagen") freischaffender Theater- und Filmschauspieler, arbeitet mit Theatergrößen wie Erwin Piscator, Jean Genet, Eugène Ionesco und Peter Zadek zusammen.

Nach vielen Nebenrollen im Film kommen Anfang der 70er Jahre Hauptrollen, die überwiegend im Arbeiter- und Handwerkermilieu spielen. Sie sind ihm auf den Leib geschrieben. "Das Brot des Bäckers" ist eine Handwerkerstudie von Erwin Keusch - Lamprecht steht zur Vorbereitung drei Wochen vorher jeden Morgen in einer Backstube. Seine Gründlichkeit wird belohnt: Nach der Premiere kommt ein Bäckermeister auf ihn zu: "Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Sie Schauspieler sind, ich hätte geglaubt, Sie wären ein Kollege von mir. Wollen Sie nicht bei mir anfangen?" Als Lamprecht einige Jahre später an einem Ballsaal in Coburg vorbeikommt, in dem die örtliche Bäckerinnung feiert, erkennen sie ihn: "Die haben mich auf den Schultern in den Saal getragen und gefeiert."

Die Rolle seines Lebens erhält er durch die Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder. Nach eher kleineren Parts ("Die Ehe der Maria Braun") verkörpert Lamprecht in der 14-teiligen TV-Produktion "Berlin Alexanderplatz" nach dem Roman von Alfred Döblin den Franz Biberkopf. Es ist die größte und teuerste Fernsehproduktion der 80er-Jahre, in Deutschland zunächst umstritten, in den USA wird Lamprecht für seine brillante Darstellung frenetisch gefeiert.

Zu seiner Popularität hat später sicher auch die Rolle des zerknautschten und unrasierten Kommissars Markowitz für die "Tatort"-Reihe beigetragen; neun Mal spielt er ihn zwischen 1991 und 1995. Er hat die Figur selbst entwickelt und an den Drehbüchern mitgeschrieben. Es steckt viel von seinem eigenen Leben in diesem Markowitz.

Ein tragisches Ereignis erschüttert 1999 das Leben von Günter Lamprecht und seiner Lebensgefährtin Claudia Amm: Sie geraten in Bad Reichenhall in das Visier eines 16-jährigen Amokschützen. Fünf Menschen sterben, Lamprecht und Claudia Amm liegen stundenlang schwer verletzt auf offener Straße. Der Schauspieler hat die Ereignisse bis heute nicht verarbeitet - vielleicht auch, weil es trotz seiner Strafanzeigen und einem jahrelangen Weg durch alle juristischen Instanzen nie zu einem Prozess gekommen ist. Heute schreibt er ein Theaterstück über die Gerichtsverhandlung, die nie stattfand.

Trotz aller Blessuren lässt es der 77-Jährige nicht ruhig angehen. Zwei Bände umfasst seine lesenswerte Biografie, der zweite Teil ist 2007 erschienen. Im gleichem Jahr hat bei den Berliner Filmfestspielen die aufwendig restaurierte Fassung von "Berlin Alexanderplatz" als Spielfilm Premiere. Ein Film für die Kinderkrebshilfe ist für Jahresende geplant. 2008 will Lamprecht für einen Kinofilm eine Rolle spielen, die ihm wiederum auf den Leib geschneidert scheint: den bekannten Berliner Milieu-Maler Heinrich Zille, Porträtist der einfachen Leute.

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