Gebärdendolmetscherin: Die mit ihren Händen tanzt

Theater ist für alle da! Das sagt Gebärdendolmetscherin Isabelle Ridder — sie übersetzt Ballettmusik für Hörbehinderte.

Saarbrücken. Sigrid Meiser-Helfrich lässt ihre Finger auf und ab über ihren Unterarm tänzeln. „Ich hatte Gänsehaut“, heißt das in der Deutschen Gebärdensprache. Dabei hat sie von der gefühlvollen Ballettaufführung, bei der sie gerade war, rein gar nichts gehört. Meiser-Helfrich ist taub.

Dass die Musik gefühlvoll und dramatisch war, weiß sie dennoch: von der Gebärdensprachdolmetscherin, die die Tanzvorstellung im Saarländischen Staatstheater für das gehörlose Publikum übersetzt hat.

Rund 80 000 Menschen in Deutschland nutzen die Gebärdensprache. In der Gehörlosengemeinschaft hat sich eine reiche kulturelle Vielfalt entwickelt, etwa das Gebärdensprachtheater.

Das Angebot des Saarländischen Staatstheaters, auch Aufführungen ohne Text für Hörbehinderte zu transportieren, ist einzigartig. Marguerite Donlon, Ballettdirektorin des Theaters, und Gebärdensprachdolmetscherin Isabelle Ridder haben das Projekt gemeinsam verwirklicht. „Theater ist für alle da“, findet Donlon.

45 Minuten vor der Vorstellung bereiten sie die Zuschauer auf das vor, was akustisch wahrzunehmen sein wird. Auf dem Skript, das sie verteilen, stehen viele Adjektive, die die Töne der jeweiligen Szene beschreiben. Nicht etwa „laut“ oder „leise“, sondern „spannungsgeladen“ oder „fröhlich“. Beim Übersetzen von Musik geht es darum, das Emotionale zu dolmetschen, das die Klänge transportieren, sagt Isabelle Ridder.

„Ich vermittle, was die Töne auslösen. Dazu muss ich verallgemeinern oder Beispiele finden.“ Spricht Donlon von „dramatischer“ Musik, kündigt Ridder in Gebärden Gefühle wie Herzschmerz oder Wut an, „bis ich in den Gesichtern sehe: ,Ja, so etwas habe ich schon erlebt’“. Ridder beschreibt die Klänge mit Gefühlen aus dem Alltag: „Wie, wenn kalter Regen aufs Gesicht fällt“ oder „wie eine zarte Berührung“.

„Liebe in schwarz-weiß“ heißt ihr drittes Stück, das Donlon dolmetschen lässt. Die Bewegungen der Tänzer sind ohnehin lautlos. Ob die Instrumente dazu kurze oder ausschweifende Töne spielen, ist an der Geschwindigkeit der Schritte zu erkennen. „Als ich die Bewegungen gesehen habe, konnte ich mir den Rhythmus vorstellen“, dolmetscht Ridder die Gebärden von Peter Schaar nach der Aufführung.

„Dieses Projekt ist eine spannende Sache, die tauben Menschen den Zugang zu Musik auf bisher unbekannte Weise möglich machen kann“, sagt Bettina Herrmann vom Deutschen Gehörlosen-Bund. „Hörbehinderte nehmen im Ballett vorrangig die tänzerischen Bewegungsabläufe wahr. Mit der Verdolmetschung der Musik könnte eine neue Ebene geschaffen werden.“

Grundsätzlich ist Musik für Gehörlose spürbar. „Ich konnte die lauten Töne an meinem Körper fühlen und wusste deshalb auch, wann die Musik leise spielt“, äußert Rolf Strauch. „Die Einführung hat sehr geholfen. Ohne die wäre es viel schwieriger gewesen, einen Zugang zu finden.“ Die gehörlosen Gäste danken Ridder und Donlon. Sie recken die Hände in die Höhe, spreizen die Finger und schütteln sie: Applaus.

Donlon plant, Seile von der Tanzfläche bis in die erste Reihe des Publikums zu spannen. So können sich die Gehörlosen daran festhalten und die Vibration des Bodens unter den Tänzern spüren. Für das kommende Jahr ist auch ein Angebot für Blinde geplant: Eine detaillierte Audiodeskription über Kopfhörer.

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