Ein Regisseur auf Lebenszeit

Fußball-Idol Günter Netzer wird 65. Damit habe er keine Probleme, sagt er. Man sieht ihm sein Alter auch nicht an.

Mönchengladbach/ Zürich. Es ist dieser eine Moment, auf den Günter Netzer noch heute angesprochen wird: DFB-Pokalfinale 1973, Mönchengladbach gegen Köln, Düsseldorfer Rheinstadion. Ein rasantes Spiel, noch heute gilt es als eines der besten der deutschen Fußball-Geschichte. Und Netzer, der Querkopf mit Schuhgröße 47, ist nur Nebendarsteller. Zunächst.

Trainer Hennes Weisweiler hat ihn auf der Bank gelassen, verärgert über den angekündigten Wechsel seines Spielmachers zu Real Madrid. 1:1 nach 90Minuten, Verlängerung. Christian Kulik schleppt sich ausgepumpt vom Platz. Netzer sieht das, sagt zu Weisweiler: "Ich spiel’ dann jetzt." Weisweiler widerspricht nicht. Netzer kommt ins Spiel - und ist vier Minuten später der Held, als er mit einem an sich verunglückten Schuss den Gladbacher Siegtreffer erzielt. "Solch ein Glück wie mit diesem Tor hat man nur einmal in Millionen Fällen", sagt er später.

Am Montag wird Günter Netzer 65 Jahre alt. Er ist noch immer ein Regisseur. Wie damals, als man ihm zu Ehren den Begriff "Aus der Tiefe des Raumes" erfand, weil er übers halbe Spielfeld punktgenaue Pässe schlagen konnte oder aus der Spielfeldmitte in die Spitze zog. Er war das Idol einer Jugend, die den Nonkonformismus, die Unangepasstheit, zur Lebensform erhob.

"Mein Leben habe ich eher laufen lassen", sagt Netzer mit dem Understatement des Erfolgreichen. "Genau genommen war es ein Versehen, dass ich ein bekannter Fußballspieler geworden bin." Als Spieler betrieb er die Disko "Lovers Lane", fuhr Ferrari, umgab sich mit schönen Frauen. Netzer war der Rebell am Ball, der Paradiesvogel von Mönchengladbach.

Dort ist Netzer, dessen Mutter einen Gemischtwarenladen führte, 1944 geboren worden. Beim 1. FC Mönchengladbach begann er mit dem Fußballspielen. Noch heute hält er den Kontakt zu seinem Heimatclub. "Einmal in der Woche bekommt er per E-Mail unseren Newsletter. Er ist interessiert daran, was bei uns vor sich geht", sagt der Vereinsvorsitzende Uwe Röhrhoff.

Als der Club vor mehr als zwei Jahrzehnten ein neues Vereinsheim benötigte, organisierte Netzer ein Freundschaftsspiel gegen die Weltmeister-Elf von 1974, das reichlich Geld einbrachte. "Wenn wir heute ins Vereinsheim gehen, müssen wir ihm noch immer dankbar sein", sagt Röhrhoff.

Bei der Borussia sind sie das auch. Mit Netzer als Spielmacher stiegen die "Fohlen" in die nationale Spitze auf, wurden Meister und Pokalsieger. Und Netzer wurde spätestens nach seinem EM-Titel 1972 zur Ikone. Nach Stationen bei Real Madrid und Grasshoppers Zürich beendete Netzer 1977 seine Karriere.

Bis 1986 führte er als Manager den Hamburger SV, dann stieg er in die Vermarktung von Sportrechten ein. Ein Nebendarsteller ist er dadurch nicht geworden: Als Aufsichtsrat der Firma Infront war er maßgeblich an der Vergabe der Fernsehrechte für die WM 2006 beteiligt.

Längst Kult sind seine kritischen, trockenen und pointierten Analysen der deutschen Länderspiele in der ARD an der Seite von Gerhard Delling. Beide kabbeln sich wie ein altes Ehepaar und siezen sich vor der Kamera beharrlich. Dabei war Netzer 2003 Dellings Trauzeuge.

Mit seinem Alter, sagt Netzer, kann er "verdammt gut umgehen. Weder 40, 50, 60 noch 65 Jahre sind eine Schwelle für mich". Großartig verändert hat sich Netzer mit den Jahren tatsächlich nicht: Der Scheitel fällt noch so lässig wie weiland in den 70ern.

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