Ein Kölner backt Brot in Hanoi

50 Jahre lang stand Claus Gerhardt in seiner Backstube im Rheinland. Nun bildet der 75-Jährige junge Asiaten aus.

Hanoi. Claus Gerhardt knetet, drückt und formt den Teig. Er reißt ein Stück ab, reibt es zwischen Daumen und Zeigefinger und schnuppert daran. "Gut, gut", murmelt der Bäckermeister zufrieden. Die gespannten Gesichter seiner Lehrlinge hellen sich auf.

Der Brotteig kommt jetzt vor dem Backen für gut eine halbe Stunde zum Reifen in den Gärschrank. Die 21 Jahre alte Phuong und ihre männlichen Kollegen Cuong und Tam achten auf jede Bewegung Gerhardts. Der 75-Jährige weiht die jungen Vietnamesen in Hanoi in die Geheimnisse des Brotbackens ein. Genauer gesagt: des Backens mit Roggenmehl.

Das ist eine Kunst, die in Vietnam, wo fast nur Weizenbrot verzehrt wird, weithin unbekannt ist. Aber der Bäcker aus dem Rheinland versteht davon eine Menge. Schließlich hat er 60Jahre Berufserfahrung: In Gummersbach begann er einst seine Bäckerlehre. Und den Meisterbrief hat er seit mehr als 50 Jahren in der Tasche. Zu seiner Bäckerei in Köln gehörten drei Filialen.

Wie verschlägt es einen Bäcker aus Köln-Vogelsang in eine Backstube in Hanoi? Claus Gerhardt war seit jeher ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. "Ich stand immer morgens um drei in der Bäckerei." Zugleich war er lange Chef der Kölner Bäckerinnung. Er bildete junge Leute aus und nahm Meisterprüfungen ab. Die Rente sah er mit Grausen nahen.

So wandte er sich an den Senior Experten Service, der Fachleute im Ruhestand als ehrenamtliche Berater an Firmen vermittelt. "Im Sommer 2000 gab ich meinen Betrieb auf, und im Oktober hatte ich meinen ersten Job in China", erzählt Gerhardt. Zunächst bildete er in Urumtschi Chinesen im Backen von Croissants aus. Es folgten Einsätze in Birma, Thailand und Vietnam. "Ich komme viel herum und kann mein Wissen weitergeben. Fantastisch!"

Diesmal reiste Gerhardt auf Bitten der vietnamesischen Unternehmerin Luyen Shell nach Hanoi. Luyen betreibt zusammen mit einem Niederländer eine Firma, die unter anderem Gebäck produziert. Beide wissen, dass viele Europäer in Hanoi dunkles Brot vermissen. "Und da deutsche Backwaren weltberühmt sind, haben wir in Deutschland angefragt und bekamen Claus", sagt Luyen.

Und wie klappt die Verständigung? Der Bäcker kann kaum Englisch. Cuong lacht: "Wir müssen nicht viel sprechen. Ich schaue genau zu, was Claus macht. Ich habe schon viel von ihm gelernt."

Der Bäckermeister holt den Roggenteig aus dem Gärschrank und prüft noch einmal die Konsistenz. Alles okay, die Brotlaibe können in den vorgeheizten Ofen. Als nach anderthalb Stunden das knusprige Brot angeschnitten wird, gerät das zu einem geradezu feierlichen Akt. Claus Gerhardt betastet die Kruste und drückt den Teig. Nicht schlecht. "Und jetzt", ruft er seinen Lehrlingen zu, "backen wir Creme-Berliner."

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