Der extravagante Olympiasieger

Shaun White (23) ist der reichste und beste Snowboarder der Welt. Er ist aber auch jemand, der gerne provoziert.

Vancouver. Shaun Whites Jeans sind noch enger als die der Rolling Stones in den 1980er Jahren. Und an den Fingern beider Hände trägt der US-Snowboardfahrer riesige smaragdgrüne Ringe. Beides sind ebenso seine Markenzeichen wie seine langen lockigen roten Haare. Die haben ihm den Beinamen die "fliegende Tomate" eingebracht.

Shaun White ist die Ikone seines Sports. Er ist Olympiasieger, Superstar, Werbe-Ikone. Schlicht: Er ist der reichste, beste und innovativste Halfpipe-Fahrer in der Geschichte des Snowboardens. Der 23-Jährige verdient mehr als zehn Millionen Dollar im Jahr, reist nur mit eigenem Jet an und ist per du mit vielen Hollywood-Stars. Wenn er sich in Vancouver bewegt, dann nur mit Leibwächtern und großem Gefolge. So etwas hat es im Wintersport bisher nicht gegeben.

Bereits mit zwölf Jahren bekam White, der mit einem Herzfehler geboren wurde, seinen ersten Millionenvertrag. Vor vier Jahren gewann Shaun White bei den Olympischen Spielen von Turin sein erstes Gold in der Halfpipe. Seitdem ist der Wirbel um ihn immer größer geworden. Inzwischen erscheint unter seinem Namen alljährlich ein neues Snowboard- und Boot-Modell. Zudem gibt es eine eigene Produktlinie unter dem Namen "The White Collection". Und im November 2004 erschien der Film "The White Album", der sich glorifizierend mit White und dessen Werdegang befasst.

Inzwischen ist Shaun White in den USA ein Superstar, fast wie Michael Jackson einer war. Wie er ist auch White ein Genie, und wie der Sänger es tat, lebt auch der 23-Jährige in einer künstlichen Welt. So baute ihm sein Sponsor für 500 000 Euro eine Halfpipe in die Rocky Mountains, die White nur mit seinem eigenen Hubschrauber erreichen kann. Dort hatte er vor den olympischen Spielen heimlich neue Sprünge einstudiert. Sogenannte "Doublecork ("Doppelsalto"): ein doppelter Rückwärtssalto mit zwei halben Schrauben und einer zusätzlichen Drehung, von denen man bislang angenommen hatte, dass sie in einer Halfpipe nicht zu springen seien. So ist White längst ein Entrückter im Wintersport.

Als der US-Amerikaner seine neuen Sprünge der höchsten Schwierigkeitsstufe kürzlich bei den New Zealand Open zeigte, deklassierte er damit die komplette Konkurrenz. Von einem auf den anderen Tag war klar: Wer bei Olympia eine Medaille gewinnen will, muss Doublecorks im Repertoire haben.

Die Versuche, Whites Sprünge nachzuahmen, forderten kurz darauf ein erstes prominentes Opfer: Kevin Pearce. Spätestens seit diesem Tag hat der spektakulärste Boarder der Gegenwart nicht nur Bewunderer. Denn als der Weltklassefahrer Pearce stürzte, zeigte White nur Häme statt Mitleid: "Er war ein begabter Fahrer. Aber wir müssen halt alle im Rahmen unserer Fähigkeiten fahren." Pearce war gerade mit lebensgefährlichen Schädel-Hirn-Trauma.Verletzungen ins Krankenhaus gekommen. Wahrscheinlich wird er nie wieder Snowboard fahren und behindert bleiben.

Doch White gilt in der Szene auch aus anderen Gründen als Außenseiter. Denn es ist Tradition, dass sich Snowboarder als Gruppe definieren. Ein Ehrenkodex verbietet jede Rivalität außerhalb der Pipe. Doch White kann sich nicht unterordnen. Er ist seine eigene Gruppe. Noch dazu eine, die den anderen die Schau stiehlt. Etwa mit seinem weiterhin unerreichten "Doublecork". Mit dem holte er jetzt erneut olympisches Gold.

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