Der Bonbonkünstler aus Neukölln: Skulpturen aus Zucker

Joseph Marr steht auf Zucker. Darum verarbeitet der Australier in Berlin Süßigkeiten zu Kunstwerken.

Berlin. Wäre das Leben von Joseph Marr ein Film, dann könnte diese Szene ein Schlüsselmoment sein.

Die Großmutter kommt zu Besuch — und der kleine Joseph flitzt an ihr vorbei zu den Schokoladen-Donuts, die sie mitgebracht hat. Das Verlangen nach Zucker kennt wohl jeder.

Für den Australier steht es für mehr: für Sehnsucht und die Lust auf Leben. So entwickelte sich die Idee, aus Bonbonmasse Skulpturen zu fertigen.

Die bekannteste schimmert wie ein Cola-Bonbon, ist neun Meter lang und zeigt Männer in intimen Posen. Wer sie in einer Tresenvitrine im berüchtigten Berliner Tanztempel „Berghain“ sehen will, muss an den Türstehern vorbeikommen.

Sein Atelier hat der 34-Jährige in einem Altbau in Berlin-Neukölln. „Vierter Hinterhof“, ruft er durch die Gegensprechanlage. Im Eingang seiner Werkstatt steht eine Blumenvase in Form eines Frauenkörpers, in den Regalen liegen Teile von Skulpturen, die an die Antike erinnern. Nur ist es kein Marmor, sondern Bonbonmasse. Essen kann man sie nicht. Lackschichten machen sie haltbar.

Die Geschmacksrichtungen kann Marr aufzählen wie ein Kioskbesitzer: „Granini-Kirsch, Granini-Apfel, Ahoi-Brause Cola, Sallos Lakritz, Ahoi-Brause Lemon...“ Eine Skulptur des Models Laura kostet 9000 Euro. Einige Privatsammler haben schon bei Marr, der auch Maler ist, zugeschlagen.

Die Fertigung der Skulpturen ist kompliziert (siehe Kasten). Nachdem Marr eine entsprechende Silikonform gefertigt hat, geht es zum Werk eines Bonbonherstellers in Potsdam-Babelsberg, das ihn mit der zähflüssigen Masse versorgt, die er zu Skulpturen gießt. Für kleinere Figuren kocht er in Töpfen im Atelier. „Es ist so ein erstaunlicher Prozess“, schwärmt er. Die Kanten von Bonbons können scharf wie Glas sein, die Klebrigkeit mag er sehr.

Für die 200 Kilo schwere „Berghain“-Skulptur „Together“ ließen Männer offensichtlich ihrem Verlangen freien Lauf. Die Inszenierung war für Marr ein heftiges wie beeindruckendes Erlebnis, auf die Skulptur ist er besonders stolz. „Es war einfach eine fantastische Erfahrung — und das Ergebnis zeigt das hoffentlich.“

Marr will die Leute daran erinnern, dass der Mensch etwas Besonderes ist. Zucker liebt er nach wie vor — „aber nicht mehr so viele Bonbons“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort