Rheingold-Studie Jugendliche überschminken Krisenängste

Noch nie hat eine Generation sich so sehr mit der eigenen Oberfläche beschäftigt wie die heutige Jugend, haben Kölner Psychologen herausgefunden. Ein gutes Zeichen ist das aber nicht.

Laut Rheingold-Studie hat sich noch nie eine Generation so sehr mit der eigenen Oberfläche beschäftigt wie die heutige Jugend. Symbolbild.

Laut Rheingold-Studie hat sich noch nie eine Generation so sehr mit der eigenen Oberfläche beschäftigt wie die heutige Jugend. Symbolbild.

Foto: dpa

Frankfurt/Köln. Wahrscheinlich hat noch keine Jugend-Generation so gut gerochen wie die der heute 14- bis 21-Jährigen: Kosmetische Produkte sind fester Bestandteil ihrer Schönheits- und Pflegeroutine. Der tägliche Einsatz von Shampoo (61 Prozent) und Deo (83 Prozent) ist für sie selbstverständlich. Für viele Mädchen ist Mascara ein unverzichtbarer Begleiter ist, 59 Prozent benutzen täglich oder sogar mehrmals täglich Wimperntusche. Das hat das Kölner Rheingold-Institut im Auftrag des Industrieverbands Körperpflege- und Waschmittel herausgefunden.

Was Parfümerie und Drogeriemärkte freuen dürfte, ist gesellschaftlich alles andere als beruhigend. „Keine Generation zuvor hat sich so stark mit der Bearbeitung der Oberfläche beschäftigt wie die heutige“, fasst Ines Imdahl, Studienleiterin und Geschäftsführerin von rheingold salon, die Ergebnisse der ersten tiefenpsychologisch-repräsentative Studie zum Erwachsenwerden zusammen: „Ein attraktives, gepflegtes Äußeres ist eine der wenigen Möglichkeiten für Jugendliche, ein Gefühl von Halt und Kontrolle in ihrem Leben zu entwickeln.“

Die Studie zeichnet das Bild einer Generation, die bloß mit vom hormonellen Durcheinander ständiger Gefühlsschwankungen ihrer erwachenden Sexualität und allen damit zu erwartenden Unsicherheiten geprägt ist. „Auch auf gesellschaftlicher und familiärer Ebene erleben sie eine Art Kontrollverlust. Hineingeboren sind sie in eine krisenhafte Zeit, die ihnen wenig Halt gibt“, so die Kölner Psychologen. Im persönlich-familiären Bereich kämpften sie oftmals mit Extremen: 28 Prozent der Jugendlichen kämen demnach aus sehr brüchigen Verhältnissen: „Doppel- oder Dreifach-Patchwork, Umzüge sowie Schulwechsel sorgen für ein Gefühl ständiger Haltlosigkeit.“

Der Mehrheit geht aber eher zu gut als wirklich besser: 71 Prozent schilderten in den Interviews und Befragungen überbehütete Verhältnisse. „Ihnen wird alles zugetraut und sie selbst trauen sich ebenfalls (zu-) viel zu. Auch ihre „Größenphantasien“ führen zu einem Gefühl der Haltlosigkeit“, so Imdahl. Dass die Jugendlichen — zwischen Sozialhilfe und Nobelpreis-Erwartung pendelnt — sich ganz generell nach Sicherheit sehnten (77 Prozent), wundere nicht: „83 Prozent sehnen sich nach einer stabilen Familie und für 52 Prozent sind Freundschaften generell wichtiger als „Dates“ und Liebesbeziehungen.“

Denn das Verliebtsein selbst werde als weiterer Kontrollverlust erlebt, so Ines Imdahl. Das Gefühl, die Kontrolle wiederzuerlangen, stärke hingegen das eigene Selbstwertgefühl. Daher bearbeiteten 85 Prozent der Jugendlichen bearbeiten vor allem ihr Äußeres, um sich wieder sicherer zu fühlen. „Keine Generation zuvor hat sich so stark mit der Bearbeitung der Oberfläche beschäftigt wie die heutige“, so Imdahl weiter, „ein attraktives, gepflegtes Äußeres ist eine der wenigen Möglichkeiten für Jugendliche, ein Gefühl von Halt und Kontrolle in ihrem Leben zu entwickeln.“

Umgekehrt seien fettige Haare, Schweißgeruch und Pickel den Jugendlichen extrem peinlich — denn sie würden als körperlicher Ausdruck „für einen gefühlten Kontrollverlust“ gewertet. Das gelte auch für „Ins-Schwitzen-geraten“ oder „Heiß-werden“, das sinnbildlich für die ebenfalls als peinlich erlebte erste sexuelle Regung stehe. Die Jugendlichen nutzten kosmetische Produkte, um Kontrolle zurückzugewinnen — und beurteilten auch andere danach: „60 Prozent glauben, dass man am Äußeren ablesen kann, um welchen Menschen es sich handelt. So wichtig schätzen die Jugendlichen Gepflegt-Sein ein, dass sie es nicht nur als Ausdruck ihrer eigenen Werte und ihres Selbstwertes verstehen, sondern sogar prüfen, ob andere diese Werte teilen.“

Für die Studie, die der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel am Mittwoch in Frankfurt vorstellte, führte rheingold salon nach eigenen Angaben im Rahmen einer qualitativen Befragung Gruppendiskussionen und Einzel-Tiefeninterviews mit insgesamt 38 Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 21 Jahren durch. Für die repräsentative quantitative Befragung seien 1012 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14-21 Jahren interviewt worden.

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