Suhrkamp - Preise und drohende Pleiten

Berlin (dpa) - Nach Tagen düsterer Botschaften war die Nachricht ein Lichtblick: Mit dem Büchner-Preis für Sibylle Lewitscharoff schrieb diesmal eine Autorin positive Schlagzeilen für den Suhrkamp Verlag - und nicht der Insolvenzverwalter.

Die Auszeichnung erinnerte nach den Meldungen über drohende Pleiten, Überschuldung und Gesellschafterstreit daran, was Suhrkamp eigentlich ist: einer der führenden deutschen Verlage, der wie wohl kein anderer die Kultur der Nachkriegszeit mitbestimmt hat - über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus.

Doch der Suhrkamp-Nimbus bleicht aus - nicht nur wegen der Finanznot. Die „Suhrkamp Culture“, von der in den 70er Jahren der amerikanische Literaturkritiker George Steiner sprach, ist verblichen. Jene Mischung aus Literatur und Theorie, wie sie der damals in Frankfurt ansässige Verlag zwischen seine bunten Buchdeckel presste, die neuen Namen und die Emanzipationsgedanken, gehören heute zum Kanon - oder gelten als verstaubt.

Klassiker aus dem Suhrkamp-Katalog wie Bertolt Brecht und Hermann Hesse sind Schullektüre, Jürgen Habermas und Hans Magnus Enzensberger prägen den kulturpolitischen Diskurs bis in die Kirchen hinein. Lange waren Deutschlands tonangebende Intellektuelle auch Suhrkamp-Autoren.

Zu verdanken hat Suhrkamp diese Stellung zwei „genialen Verlegern“, sagt Ulrich Raulff, Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach: Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld.

Suhrkamp hatte den S. Fischer Verlag durch die NS-Zeit gerettet, kam ins Konzentrationslager, konnte aber nach dem Krieg wieder publizieren. Die ersten Veröffentlichungen des Suhrkamp-Verlags „vormals S. Fischer“ waren programmatisch: Thomas Manns Vortrag „Vom kommenden Sieg der Demokratie“ und Hermann Hesses „Glasperlenspiel“.

Ob Max Frisch oder Theodor W. Adorno, die Schriften von Walter Benjamin, Pierre Bourdieu oder Noam Chomsky - kein anderer Verlag in Deutschland übte mit der Mischung aus Literatur und Kulturwissenschaft, Geschichte und Psychoanalyse einen derartigen Einfluss auf öffentliche Debatten wie Suhrkamp aus. „Mehr Demokratie wagen“ - den Leitspruch Willy Brandts übertrug der Verlag auf seine Bücher.

Autoren wie Hans Magnus Enzensberger oder und Martin Walser spürten für Suhrkamp die Trends der Weltliteratur auf. Sehr früh setzte der Verlag auf Autoren wie Jorge Luis Borges, Julio Cortázar oder Octavio Paz, die dann den „Boom“ der lateinamerikanischen Literatur auslösten.

„Suhrkamp war in den 60er Jahren auf beiden Flügeln - Literatur und Theorie - enorm stark und flog allen anderen deutschen Verlagen davon“, sagt Raulff. „Damals konnte ein Verlag die Bewusstseinsbildung entscheidend prägen. Das ging hinein bis in die Geschmacksbildung, und konnte die sensibelsten Zeitgenossen prägen, sogar erziehen, wie es heute kein Buchverlag mehr könnte.“ Die bunten, von Willy Fleckhaus entworfenen Bändchen gehören zu den sichtbaren Zeichen der „Suhrkamp Culture“. Die Berliner Studenten zogen noch mit Parka und Suhrkamp-Taschenbüchern in die Revolte.

Zwar hat Unselds Witwe und Nachfolgerin Ulla Unseld-Berkéwicz versucht, an Traditionen festzuhalten. Doch nicht nur der Einstieg des Investors Hans Barlach und seine Renditeerwartungen setzen dem Haus Suhrkamp, der inzwischen nach Berlin gezogen ist, heftig zu.

Auch gebe es diese „hegemoniale Macht über das Bewusstsein eines Sprachraums“, wie sie Suhrkamp bis in die 70er Jahre hindurch hatte, nicht mehr, sagt Raulff. „Der Markt der öffentlichen intellektuellen Güter hat sich seit den 80er Jahren durch das Internet enorm verändert.“

Dennoch bleibe Suhrkamp „Deutschlands größter Independent-Verlag und Deutschlands kleinster Buchkonzern“, wie die „Tageszeitung“ (taz) schrieb. Aktuelle Suhrkamp-Autoren wie Eva Illouz mit ihrer Bestandsaufnahme „Warum Liebe wehtut“ oder der Brite Colin Crouch mit seiner Kritik am Finanzkapital gelten heute als Vordenker. William Vollmanns Roman „Europe Central“ hat es in die Bestseller-Listen geschafft.

In den Berichten dieser Tage über Suhrkamp ist auch ein Phantomschmerz zu spüren, eine Sehnsucht nach einer Kulturlandschaft, die längst verschwunden ist. Die „Sorge um Suhrkamp“ habe auch „viel symbolischen Charakter“, schrieb Gerrit Bartels im „Tagesspiegel“. In Zeiten des digitalen Umbruchs schwinge bei den gedruckten Medien auch Alarm in eigener Sache mit.

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