Schmerzhafte Tradition: Tätowierung in Samoa

Apia (dpa) - Am Rücken fühlt es sich an, als würde eine Zigarette ausgedrückt. So beschreibt ein Niederländer eine Tätowierung in Samoa. Für die Menschen dort bedeutet die schmerzhafte Prozedur mehr als ein paar Bilder auf der Haut.

Selbst, als die scharfen Zinken in die weiche Haut am inneren Oberschenkel eindringen, verzieht der Mann keine Miene. Die schwarze Tinte dringt ein, Blut quillt hervor. Der Tätowierer wischt es weg. Sonny Natanielu (43) liegt auf dem Fußboden einer Hütte, die Augen geschlossen. Nur die Kieferknochen bewegen sich - er beißt die Zähne ab und zu zusammen.

Der Therapeut aus Neuseeland lässt sich in der Heimat seiner Eltern, im Südseestaat Samoa, tätowieren, ganz traditionell: Der Tätowierer hämmert die Zinken von Hand in die Haut. Mit einem kleinen Schmetterling oder Totenkopf ist es nicht getan. Traditionell heißt, ein Muster vom Knie bis zum Bauchnabel, vorne und hinten, und es bedeckt fast alles, was dazwischen liegt.

„Es tut höllisch weh“, sagt Natanielu, als der Tätowierer pausiert. „Ich sah entspannt aus?“ fragt er dann ungläubig. „Das ist wie bei einer Ente: an der Oberfläche sieht alles ruhig aus, aber da drunter geht die Post ab.“ Er hat sich vorher überlegt, wie er mit dem Schmerz fertig wird. „Ich habe im Kopf ein Lied angestimmt, als es los ging. Aber als der erste Zinken in meine Haut eindrang, habe ich nur gestöhnt“, sagt Natanielu. „Jetzt versuche ich, mich dem Schmerz hinzugeben. Er vergeht, aber die Schönheit bleibt.“

So hat es auch der angehende Unfallchirurg Patrick Schouwenberg (36) erlebt. Vor einem Jahr hat sich der Niederländer, der an einem Krankenhaus in Wesel arbeitet, als einer der wenigen Ausländer unter die scharfen Zinken desselben Tätowiermeisters in Apia gelegt. „Es war so schmerzhaft, dass ich die Erinnerung verdrängt habe“, sagt er.

„Am Rücken: als würde eine Zigarette dort ausgedrückt. Am Po: wie Peitschenschläge. Und es wurde alles immer noch schlimmer.“ Nach drei Stunden seien alle Endorphine weg. „Dann ist es eine Frage des Charakters.“ Schouwenberg war fasziniert, als er von der samoanischen Tätowierung hörte. Fünf Jahre hat er überlegt. „Wie eine Feuerprobe, dachte ich. Kann ich das auch ertragen? - Ich brauche Extreme, um zu leben.“ Er genießt sein Kunstwerk. „Wenn ich vor dem Spiegel stehe, denke ich immer: Wow! So viele schöne Bilder!“

Für eine diagonale Linie von der Innenseite des Oberschenkels bis zum Knie müssen die Zinken 80 bis 100 Mal in die Haut gehämmert werden. Bis das Bein von der Kniekehle bis zur Leiste rundum verziert ist, sind tausende Linien nötig. Dann kommen das andere Bein, die Leisten, der Bauch, der Po, der Rücken.

„Wir brauchen fünf bis zehn Tage“, sagt Tätowiermeister Petelo Suluape (32). „Je nachdem, wie lange der Mann pro Tag aushält und ob die Haut sich entzündet.“ Er praktiziert seit zwölf Jahren und hat die Kunst von seinem Vater gelernt, der selbst eine Familientradition über Generationen fortführte. Dessen Ruf ist legendär. „Ich brauche keinen Plan. Wenn ich den sozialen Rang des Mannes kenne und mit ihm geredet habe, entsteht das Muster wie von selbst“, sagt Suluape. Stilisierte Kanus, Wellen, Sterne, Fische, Muscheln gehören dazu. Die tausende Jahre alte Geschichte der Samoaner stellt das dar.

Für samoanische Männer war das „pe'a“ früher ein Initiationsritus. „Tätowiert zu werden bedeutet: dieser Mann kenn seine Kultur, er ist bereit, seinem Volk zu dienen“, sagt Lavea Tautele Fosi Levi (59). Er war früher Polizist und Feuerwehrmann und ist jetzt Richter für Stammeszwiste und eine Autorität auf dem Gebiet der Geschichte der Tätowierung.

Wer den Schmerz aushält, ist ein ganzer Mann. „Die Samoaner sagen: kräftiges Herz, starker Geist“, erklärt der Niederländer Schouwenberg. Wie eine Reise ins Ungewisse sei das Ganze, sagt Laveas zweitjüngster Imo (23), auch mental. „Das Besondere ist nicht, die Tätowierung zu haben, sondern zu wissen, wie es ist, sie zu bekommen.“ Zur Prozedur gehört ein Ritual: tagelang keine Rasur, kein Parfüm, kein Sex, und geschlafen wird auf dem harten Boden. Am Ende werden böse Geister mit Ölbädern davongejagt.

Das Wort tattaw (heute englisch: tattoo) tauchte erstmals 1769 im Reisebericht von Joseph Banks auf, der mit dem Entdecker Captain Cook in der Südsee war. Es dürfte von dem samoanischen Wort Tatau stammen. Die Körperkunst ist in den Südsee-Inselstaaten bis nach Hawaii weit verbreitet. Früher wurden die Zinken auf Samoa aus Schweinezähne gefeilt, heute sind es Titanzinken, aus Hygienegründen. „Ein elektrischer Tätowierstab wäre wie Plastik“, sagt Lavea verächtlich.

Missionare haben versucht, die Praxis auszurotten. Mit einigem Erfolg: Nur fünf bis zehn Prozent der Männer seien heute tätowiert, sagt Lavea. Noch heute kenne die protestantische Kirche kein Pardon. „Ich bin auch exkommuniziert worden“, sagt Imo. Nach vollendeter Tat musste er sich erneut um Aufnahme in die Kirchengemeinschaft bewerben. Lavea ist gläubiger Christ. Die Opposition zur ursamoanischen Tradition macht ihn aber verbittert. „Wir sind froh, dass wir die Christianisierung überlebt haben.“

Tätowiermeister Suluape spricht von einem Comeback. „Das Interesse ist massiv gestiegen, ich habe lange Wartelisten“, sagt er. Auch in Neuseeland zeigen die Maoris, die Ureinwohner, ihre kulturelle Identität wieder verstärkt mit Gesichtstätowierungen, den „Moko“.

Richter Lavea hat fünf Söhne. Wie der Vater sind alle tätowiert. Der Jüngste, Nico (18), ist im Frühjahr „angezogen worden“, wie das in Samoa heißt. Imo und Nico sind groß, stark, durchtrainiert und lüften bereitwillig ihr Lava-lava, den Männerrock der Samoaner, um sich in voller Schönheit zu zeigen. Zur Tätowierung gehört eine besondere Lebenseinstellung, wie Nico sagt. Dazu gehören Fürsorge für andere, Reife, Umsichtigkeit - und ein trainierter Körper. „Mit Bierbauch sähe das Ganze ja lächerlich aus“, meint er lachend.

Die Angelegenheit ist ziemlich teuer. Der Tätowierer wird mit fein gewebten Matten, Fleisch, Fisch, Bargeld und heutzutage gerne auch mit Fernseher oder iPod bezahlt. Das kann schnell 15 000 Tala kosten - 5000 Euro. „Es ist nach einer guten Ausbildung das beste Geschenk, was man einem Sohn machen kann“, ist Lavea überzeugt. Sohn Imo ist sein ganzer Stolz. Er hat zwar in Neuseeland ein Studium zum Bauingenieur abgeschlossen. Doch spürte er bei seiner Rückkehr die Berufung zum Tätowierer. Er lernt inzwischen bei Meister Suluape.

Imo assistiert bei Natanielus Tätowierung. Mit Gummihandschuhen streckt er die blut- und tintenverschmierte Haut, damit die spitzen Zinken besser eindringen können. Der Meister sitzt im Schneidersitz. Er arbeitet in einem zu allen Seiten offenen Pavillon an der Uferpromenade.

Eine Plane hält notdürftig den niederprasselnden Regen ab. Das Stakkato des niedersausenden Hammers füllt die Luft wie das Hämmern eines Spechts. Fünf, sechs Männer assistieren. Ein Radio läuft, abwechselnd stimmen die Männer in Refrains populärer Lieder ein. Gelacht wird auch, und auch geraucht. Der Tätowierer hat ein Handyteil ans Ohr geklemmt, um zwischendurch Gespräche anzunehmen.

Natanielu sagt kein Wort. Ein Helfer legt ihm immer mal wieder beruhigend die Hand auf die Schulter. „Ich bin in Neuseeland aufgewachsen“, erzählt er anschließend. „Mit 18 hatte ich die große Krise: Wer bin ich? Unsere Eltern haben keine Traditionen gepflegt. So haben mich die Samoaner nicht akzeptiert, und die weißen Neuseeländer auch nicht.“ Mühsam machte er sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Er lernte die samoanische Sprache und setzte sich mit der Kultur auseinander. Jetzt schreibt er an einer Doktorarbeit in Psychologie, um Samoanern zu helfen, die in Neuseeland oder Australien auf die schiefe Bahn geraten.

„Wenn ich die Leute begreifen will, mit ihnen reden will, sie verstehen will, muss ich dazugehören“, sagt Natanielu. „Irgendwann war für mich klar: ohne Tätowierung geht das nicht. Und dann sind alle Bäche schließlich am selben Wasserfall angekommen: mit 43 war ich so weit.“ Er hat sich monatelang akribisch vorbereitet, erst, um körperlich fit und stark zu werden. „Dann habe ich als Fettpolster gegen den Schmerz zehn Kilo zugenommen“, sagt er.

Arzt Schouwenberg hat sich mit Impfen und Antibiotika auf die Reise gemacht. Gesundheitsrisiken schließt er dennoch nicht aus. „In der Tinte sind ja Metalle, wir wissen nicht genau, was da passiert. Bei einer Magnetresonanztomographie könnte es beispielsweise zu Verbrennungen kommen“, sagt er.

Natanielu hat trotz ohnmächtiger Schmerzen und einer Entzündung nie ans Aufgeben gedacht. Wer nicht durchhält, bringt traditionell Schande über seine ganze Familie. Die, die sich nicht trauen, die Tortur über sich ergehen zu lassen oder aufgeben, sind auch die größten Kritiker der Praxis, sagt Assistent Imo.

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