Schäbig, räudig, kahl Roms trauriger Christbaum macht Politik

Rom (dpa) - Emmanuele kurvt mit seinem Taxi um das Kapitol in Rom und kommt aus dem Schimpfen nicht heraus: „Dieser Baum ist traurig, genauso wie letztes Jahr“, sagt er. Er umkreist den zentralen Weihnachtsbaum der italienischen Hauptstadt - das wohl umstrittenste Exemplar des ganzen Landes.

Schäbig, räudig, kahl: Roms trauriger Christbaum macht Politik
Foto: dpa

Schon das zweite Jahr in Folge diskutiert die Stadt über einen zu mageren Christbaum unweit des Rathauses, direkt am Nationaldenkmal. Doch dieses Jahr kam es noch schlimmer: „Mailand hat einen viel schöneren Baum“, sagt Emmanuele.

Eigentlich sollte dieses Mal alles gut gehen. Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi hatte sich vergangenes Jahr so viel Spott und Häme für einen windschiefen Baum eingefangen, dass sogar nachträglich die Dekoration etwas aufgemotzt werden musste. Doch prompt nach der feierlichen Einweihung des diesjährigen, 21 Meter hohen Baums mit seinen 600 Kugeln und 3000 Lichtern hagelte es wieder Proteste.

Im Netz avancierte der Baum - genannt „Spelacchio“, also so viel wie „räudig“, „kahl“ oder „schäbig“ - zum Superstar. Er habe mehr Follower als Zweige, wurde gewitzelt. Selbst ein Twitter-Hashtag „#jesuisspelacchio“ (Ich bin Spelacchio) wurde ins Leben gerufen, um die arme Fichte zu verteidigen. Der Blog „Roma fa schifo“ (Rom ist abscheulich) rechnete vor, dass der Baum inklusive Transport und Auf- und Abbau dieses Jahr die Stadt fast 50 000 Euro gekostet habe - im Vergleich zu nur 15 000 im vergangenen Jahr. Und nicht mal eine öffentliche Ausschreibung habe es gegeben, was symptomatisch für das Nicht-Funktionieren der Hauptstadt sei.

Selbst für politische Zwecke diente „Spelacchio“. „Ich habe den traurigen Baum gesehen. Das nächste Jahr schenken wir ihnen einen Baum (...) und vielleicht machen wir auch noch eine Krippe dazu, wenn es niemanden beleidigt“, sagte Matteo Salvini, Chef der ausländerfeindlichen Partei Lega Nord, die seit ihrer Gründung die Überlegenheit des italienischen Nordens gegenüber dem Süden propagiert. Für die politischen Gegner ist der Christbaum Symbol für eine dürftige Politik der Fünf-Sterne-Bewegung, der Bürgermeisterin Raggi angehört.

Der gebürtige Mailänder Salvini konnte sich jedenfalls ins Fäustchen lachen, denn Mailand machte im Gegensatz zu Rom mit einem besonders prächtigen Baum Schlagzeilen. Unter großem Tamtam wurde der mehr als 30 Meter hohe Nadelbaum vor dem Dom eingeweiht. Dekoriert mit 100 000 Lichtern und 700 Kugeln. Gesponsert hat ihn allerdings der Sender Sky. Und der macht reichlich Werbung damit. Immerhin hat sich die Kommune so die Kosten gespart. Im Gegensatz zu Rom, das sowieso pleite ist und wo die Bürgermeisterin gegen Müllberge, Verkehrskollaps und den Vorwurf einer korrupten Verwaltung ankämpft.

Die Konkurrenz zwischen der Polit- und Verwaltungsmetropole Rom und der Finanz- und Modestadt Mailand ist legendär. „Mailand hat Geld und daher einen schöneren Baum“, sagt Taxifahrer Emmanule, „in Mailand funktioniert alles besser“. Es schmerzt die Römer, dass sie die Stadt im Norden auf allen Ebenen abzuhängen scheint: Wirtschaftlich, touristisch und jetzt auch noch der Weihnachtsbaum! Immerhin steht auf dem Petersplatz für den Papst ein unumstrittener, dichter und prall geschmückter Tannenbaum - aber der zählt ja zum Vatikan.

So etwas wie einen Weihnachtsbaum-Wettkampf kennt man auch in Deutschland. So wetteiferten vor drei Jahren Frankfurt und Dortmund um den größten Baum. Allerdings „mogelte“ Dortmund, weil dort ein 45 Meter hohes Konstrukt aus 1700 Bäumen aufgebaut wurde. Auch in diesem Jahr brüstet sich die Stadt mit dem „größten Weihnachtsbaum der Welt“.

Generell sei das Phänomen in Deutschland aber nicht verbreitet, sagt Albert Ritter, Präsident beim Deutschen Schaustellerbund, der auch Weihnachtsmärkte organisiert. „Bei uns ist man noch sehr bodenständig und familiär.“ Auch von Firmen gesponserte Bäume sehe man selten. „Bäume mit Coca-Cola- oder Swarovski-Dekoration gibt es nicht.“ Sowieso bemesse sich die Bedeutung einer Stadt nicht an der Größe des Weihnachtsbaums, meint Ritter. „Es gibt Dörfer, die haben größere Bäume als Großstädte - einfach weil sie näher am Wald liegen.“

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