85 000 Mal verkauft „Mein Kampf“-Edition - „Die Zahlen haben uns überrollt“

München (dpa) - Als die Urheberrechte an Adolf Hitlers Machwerk „Mein Kampf“ ausliefen, brachte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München eine kommentierte Ausgabe der Hetzschrift auf den Markt.

85 000 Mal verkauft: „Mein Kampf“-Edition - „Die Zahlen haben uns überrollt“
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Der Institutsdirektor Andreas Wirsching spricht ein Jahr nach der Veröffentlichung im Interview der Deutschen Presse-Agentur über einen ungeplanten Bestseller und erklärt, warum er „Mein Kampf“ im Geschichtsunterricht auch kritisch sieht.

Frage: Auch wenn Sie das nicht wollten: Die kritische „Mein Kampf“-Ausgabe Ihres Institutes ist längst zum Bestseller geworden. Hat Sie das überrascht?

Antwort: Dass es bei den 4000 Exemplaren der ersten Auflage nicht bleiben würde, davon sind wir schon ausgegangen. Aber inzwischen sind wir bei 85 000 verkauften Büchern. Ende Januar kommt die sechste Auflage auf den Markt. Diese Verkaufszahlen haben uns überrollt, damit konnte wirklich niemand rechnen.

Frage: Wie waren denn die Reaktionen?

Antwort: Inzwischen ist aus dem anfänglichen Hype eine fachwissenschaftliche Diskussion geworden. Wissenschaftler arbeiten damit. Es gibt auch die ersten Rezensionen in Fachorganen, die teilweise sehr gut ausfallen und teilweise etwas kritischer.

Frage: Mit dem Erscheinen Ihrer Edition kam auch die Frage auf, ob Auszüge aus dem Buch als Quelle im Schulunterricht verwendet werden sollten. Wie stehen Sie dazu?

Antwort: Der bayerische Landtag hat das Thema ja stark diskutiert und in diesem Jahr erscheint eine Handreichung der Landeszentrale für politische Bildung zum Umgang mit „Mein Kampf“ im Unterricht. Ich bin auch der Meinung, dass jeder clevere Lehrer aus unserer Ausgabe auch so schon etwas ziehen und damit arbeiten kann. Allerdings habe ich da persönlich ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu dieser Frage. Es wäre absurd, in die Diskussion der 50er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war's. Ich warne da vor einer zu starken Hitler-Zentrierung in der öffentlichen Diskussion und vor allem im Geschichtsunterricht.

Frage: Seit die Urheberrechte an „Mein Kampf“ zum Jahresende 2015 ausgelaufen sind, kann ein Nachdruck nicht mehr urheberrechtlich, sondern nur noch mit dem Straftatbestand Volksverhetzung verhindert werden. Der rechtliche Status Ihrer Edition war darum etwas unklar. Gab es seit Erscheinen denn irgendwelche Anzeigen gegen Ihr Institut?

Antwort: Nein. Wir haben da Vorsorge getroffen und schon vor dem Erscheinen der Edition bei den Amts- und Landgerichten eine sogenannte vorläufige Hinterlegung gemacht mit Informationen über unsere kritische Ausgabe. Damit kann man eine einstweilige Verfügung im Zweifel verhindern - aber es gab justiziell gar nichts.

Frage: Sie sind vor allem mit dem Ziel angetreten, denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die „Mein Kampf“ 70 Jahre nach Hitlers Tod nicht aus wissenschaftlichen Gründen wieder verbreiten wollen. Hat das geklappt?

Antwort: Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Text vagabundieren zu lassen. Das sieht man auch daran, dass der rechte Leipziger Schelm-Verlag Mitte 2016 angekündigt hat, „Mein Kampf“, wie es hieß, „ohne lästige Kommentare von Gutmenschen“ nachzudrucken. Weitere Vorhaben dieser Art sind uns nicht bekannt.

Frage: Wird Ihre Edition noch in andere Sprachen übersetzt?

Antwort: Es wird eine französische Ausgabe geben. Das ist zwar keine Eins-zu-Eins-Übersetzung. Es wird bei Übersetzungen ja immer gekürzt und überarbeitet. Aber unsere Kommentare werden zu zwei Dritteln übersetzt. Daneben habe ich von einem Projekt in den Niederlanden gehört. Aber wir werden aller Voraussicht nach keine weiteren Übersetzungen betreuen und auch keine Lizenzen vergeben. Das überschreitet einfach die Kapazitäten unseres Institutes. Am Anfang gab es 70 Übersetzungsanfragen, da sind wir schon etwas nervös geworden. Aber die haben sich de facto nicht konkretisiert. Das einzige, was mir machen würden, wäre eine englische Übersetzung, weil die Reichweite sehr groß wäre. Da gibt es aber noch keine konkreten Vorhaben.

ZUR PERSON: Der Historiker Andreas Wirsching ist Direktor des Institutes für Zeitgeschichte. Vorher war er Geschichtsprofessor an den Universitäten Tübingen und Augsburg. Außerdem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

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