Kultur am Deich Leeuwarden: Wild, windig und sehr eigenwillig

Leeuwarden (dpa) - Der Friese Johan van Aken war ein eigensinniger Mann. 1529 wollte er in Leeuwarden einen 120 Meter hohen dicken Kirchturm bauen, obwohl der Boden doch wirklich viel zu morastig war. Es kam, wie es kommen musste.

Kultur am Deich: Leeuwarden: Wild, windig und sehr eigenwillig
Foto: dpa

Der Turm versackte. Heute ist der „Oldenhove“ mit etwa 40 Metern eher ein Türmchen, aber immerhin ein schiefes wie der große Bruder in Pisa. Für Leeuwarden könnte man sich kein besseres Wahrzeichen vorstellen. Die Hauptstadt der niederländischen Provinz Friesland ist eine der eigenwilligsten Städte des Landes und stolz darauf. Und das wird Europa 2018 erleben, denn Leeuwarden ist Kulturhauptstadt.

Hier läuft alles ein bisschen anders als im Rest des Landes. Das fängt schon bei der Sprache an. Viele sprechen Friesisch, die offizielle zweite Landessprache. Und Friesen sind auch sehr stolz auf ihre eigene Fahne mit den sieben roten Seerosen-Blättern. Dennoch würde keiner ernsthaft an die Errichtung einer friesischen Republik denken. Schließlich sind Friesen ein nüchternes Völkchen.

Das rund 100 000 Einwohner zählende Leeuwarden im hohen Norden am Wattenmeer ist nicht gerade eine hippe Kulturmetropole wie Amsterdam oder Rotterdam. Doch Friesen sollte man nie unterschätzen. Kultur endet sicher nicht am Deich. Das beweist allein schon das „Fries Museum“, das seit einigen Jahren mit aufregenden Ausstellungen auch international Furore macht. Im Kulturjahr ehrt es zum Beispiel die berühmtesten Bürger der Stadt: Spionin Mata Hari und den Meisterzeichner der Illusion, M.C. Escher.

„In Leeuwarden kann man Europa fühlen und genießen“, verspricht Jelle Burggraaff, einer der Organisatoren des Kulturjahres. Die Friesen wollen zeigen, wie sie mit Problemen ländlicher Regionen umgehen: Armut, Überalterung, Klimawandel, das Sterben der Dörfer. Leeuwarden will ein Labor sein für Europa, wie man die Zukunft eigensinnig, kreativ und mutig gestalten kann - friesisch eben. „Wir haben Europa viel zu bieten“, sagt Burggraaff.

Unter dem Motto der „iepen mienskip“, friesisch für offene Gemeinschaft, entstanden gemeinsam mit Tausenden Bürgern rund 60 Projekte für das Kulturjahr. Außerdem leisten noch über 300 Künstler aus aller Welt einen Beitrag. Und nicht nur das historische Leeuwarden mit seinen malerischen Grachten, Gassen und Giebelhäuschen ist Schauplatz. Ganz Friesland wird zur Bühne.

Und was für eine: Hier ist die Erde platt, der Himmel weit, die Wolken dramatisch. Dörfer und Städte sind blitzblank und bezaubernd, an jeder Ecke steht eine Kirche, und fast überall ist Wasser. Kanäle, Seen und das Wattenmeer, es gehört zum Weltkulturerbe.

Schnurgerade und kilometerlange Deiche prägen diese Wattenmeer-Landschaft. Sie sind Kulisse eines der spannendsten Projekte, „Sense of Place“. Leeuwarden lag einst am offenen Meer, erzählt der künstlerische Leiter und bekannte Theatermacher, Joop Mulder. „Dann kam der Deich, und wir kehrten dem Wasser den Rücken zu.“ Mit rund 50 Kunstwerken an der gesamten Küste soll der Wall durchbrochen und die Verbindung von Wasser und Mensch wieder hergestellt werden.

An einer Stelle etwa wird in den Deich ein 100 Meter langer kurvenreicher Frauenkörper integriert. Auch bauen renommierte Künstler ihre Werke direkt ins Wasser. Einige werden für immer bleiben, andere mit der Zeit vergehen, sagt Mulder. „Das Salzwasser frisst sie schließlich auf.“

Wasser ist auch die fast schon mythische Verbindung der elf friesischen Städte. Die legendäre „Elfstedentocht“ ist das härteste und längste Eislauf-Rennen der Welt. 200 Kilometer lang ist die Strecke über Kanäle entlang der elf Städte. Doch zuletzt fand der mörderische Marathon 1997 statt - wegen des Klimawandels gibt es kaum noch strenge Winter.

Wenn das Eis uns nicht mehr verbindet, so dachten die Friesen, dann wird springendes Wasser es tun. Sie beauftragten elf renommierte internationale Bildhauer, darunter auch der Deutsche Stephan Balkenhol, für jede Stadt einen Brunnen zu entwerfen. Für Leeuwarden schuf der Spanier Jaume Plensa zwei meterhohe Köpfe, die über einem Ring von Nebel zu schweben scheinen: „Träume über die Zukunft“.

2018 wollen die Friesen zeigen, wie sie das Leben feiern. Und das ist nichts für Zartbesaitete. Deiche, Wiesen, Städte wollen mit allen Sinnen erfahren werden: Zu Fuß, mit dem Boot, auf Schlittschuhen oder dem Fahrrad. „Man muss den Wind spüren, die salzige Luft“, empfiehlt Joop Mulder. „Diese Landschaft muss man sich auch erstrampeln.“

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