Kultig: Fankurve im Hinterzimmer

Berlin (dpa) - Berlin ist auch Hauptstadt der Bundesliga-Fans. Trotz Herthas Abstieg pilgern die Fußballfans gern zu den TV-Übertragungen. Jeder Club hat seine Stammkneipe.

Das Hinterzimmer einer ehemaligen Metzgerei in Berlin-Friedrichshain: Die Tapeten im Raucherzimmer der heutigen Hausbrauerei „Hops & Barley“ sind Jahrzehnte nicht gewechselt worden, ebenso wenig die Glühbirnen im Deckenleuchter, von denen nur noch wenige brennen. An den Wänden hängen gerahmte Schwarz-Weiß- Fotografien: Schlachter posieren in blutverschmierten Kitteln vor durchteilten Schweinehälften. Und im Fenster hängt anstelle eine Vorhangs die grün-weiß-schwarze Fahne mit der Raute von Borussia Mönchengladbach.

Rund 50 Fußballfans, viele in vollem Ornat mit Gladbach-Schals und Trikots, hocken dicht gedrängt in dem verrauchten Zimmer der Kneipe im Ostteil Berlins. Auf der Großbild-Leinwand läuft nicht die Fußball-Bundesliga-Konferenz, sondern nur ein Spiel: Die Partie von Borussia Mönchengladbach.

Die Fankneipe „Hops & Barley“ ist nur eine der vielen Kultstätten von Fans westdeutscher Fußball-Bundesligisten. Seit dem Abstieg von Hertha BSC ist Berlin zwar vom großen Fußball abgeschnitten. Aber die Fans pflegen weiter ihre Traditionen und wollen ihre Begeisterung ausleben.

Für jeden Verein gibt es meist gleich zwei Treffpunkte in Berlin, jeweils einen im Ost- und Westteil der Stadt. So gibt es neben den „Berliner Fohlen 07“ im Friedrichshain die „Spreeborussen“ mit Stammcafé am Schloss Charlottenburg. Es gibt die „Berliner Bajuwaren“ in Friedrichshain und den Fan-Club „Claudio Pizzaro“ in Spandau. Die Fans des 1. FC Köln treffen sich in der „Schwalbe“ im Prenzlauer Berg, während die Schalker nach Mitte ins „Schmittz“ pilgern. Und Hoffenheims Fans sind in Kreuzberg - jedes Fan-Club-Mitglied spendet dort 50 Cent pro Tor der Hoffenheimer für die soziale Arbeit der Kreuzberger St. Jacobi-Kirche.

Und es sind beileibe nicht nur Fans im Berliner Exil, die verteilt in der ganzen Stadt ihre Liebe zum Heimatverein pflegen. In der Mehrzahl sind es Berliner, meint „Hops-&-Barley“-Wirt und Ur- Ostberliner Sven: „Das ist ja bei mir auch so. Früher hat man halt über die Mauer gekiekt, weil da angeblich der bessere Fußball gespielt wurde, und so habe ich dann irgendwann die Borussia für mich entdeckt, das war noch die große Zeit von Matthäus & Co.“

Die Leidenschaft des „Ossi“ für den Verein im tiefsten Westen schlief nach dem Mauerfall wieder ein, bis im Spätsommer 2008 die „Berliner Fohlen“ auf der Suche nach einer Vereinskneipe vor seinem Tresen standen. „Ja, die sind ja sehr lustig und nicht so bitterernst wie die Herthaner, und sie sind ja auch das Leiden gewohnt“, meint Sven und lacht. So bekamen die Borussen Gastrecht im Hinterzimmer.

Für den Fohlen-Mitbegründer Christoph Heuer und seine rund 30 Mitstreiter ein großer Glücksfall: „Die sind hier sehr gastfreundlich, und es spricht sich herum, dass man hier gemeinsam Gladbach-Spiele gucken kann, und so kommen nach und nach immer mehr dazu.“ Selbst Fans anderer Vereine verirren sich schon mal ins „Hops & Barley“, weil sie die fröhliche Atmosphäre schätzen.

Und die Betreiber der Hausbrauerei haben noch eins drauf gesetzt: Der Braumeister ist eigens ins Rheinland gefahren, und hat sich Rezept und Zutaten für Altbier besorgt. Nun können die Fohlen ihre Siege auch mit Altbier begießen oder - derzeit leider häufiger - den Frust ertränken. Und für jedes Tor der Borussen gibt es eh eins oben drauf: Dann verteilen die Kellnerinnen für jeden Gast einen Fruchtlikör „aufs Haus“.

Eine riesige Fan-Gemeinde haben die Dortmunder Borussen in der Hauptstadt, zumindest kommt man zu den Spielzeiten der Schwarz-Gelben kaum noch in die Kreuzberger „Milchbar“ hinein. Bis zu 150 Borussen passen dort etwa rein, zu den Schlagerspielen kommen noch mehr.

Dort steht Dada hinter der Theke: Die 48-Jährige aus dem Sauerland, von oben bis unten tätowiert, gepierct und ganz in schwarz-gelb gekleidet ist die Garantin dafür, dass trotz aller Emotionen dort keine Gläser fliegen. Sie macht ihr Hobby zum Beruf. Dada ist Dortmund-Fan seit sie denken kann, „mein Vater war Schalker, was sollt ich machen?“, sagt sie verschmitzt mit Blick auf die Dauerfeindschaft der Reviervereine. Wenn die Emotionen dann doch mal zu hoch kommen, schreitet Dada ein: „Ich hab einen Trick, ich kann unheimlich böse gucken, dann ist alles wieder gut.“

Dennoch sieht sie der Rückrunde der Fußball-Bundesliga mit gemischten Gefühlen entgegen: „Ich habe jetzt schon unheimlich Angst vor der Meisterschaft!“ Denn bei den für dann zu erwartenden Jubelfeiern würde der Platz in der „Milchbar“ wieder mal deutlich zu knapp.

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