Jean-Honoré Fragonard: Liebschaften und große Natur

Karlsruhe (dpa) - „Ich glaube nicht, dass es in Europa einen Maler von vergleichbarer Vorstellungskraft gibt“, schrieb 1765 der französische Aufklärer und Dichter Denis Diderot über den Künstler Jean-Honoré Fragonard.

Hierzulande blieb der Maler dennoch über zwei Jahrhunderte ein weitgehend Unbekannter. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe widmet dem Franzosen nun die erste große Schau in Deutschland. Vom 30. November bis zum 23. Februar zeigt sie 85 Exponate aus zahlreichen internationalen Museen - und gibt Einblick in das vielseitige Schaffen sowie die Welt des französischen Rokoko-Malers und Zeichners.

Im Zentrum der Präsentation „Poesie und Leidenschaft“ stehen die Zeichnungen. Aus Sicht von Kuratorin Astrid Reuter demonstrieren sie besonders eindrücklich die Innovationsfreude und Kühnheit des Künstlers, der Maler wie Eugène Delacroix und Honoré Daumier inspirierte. Ergänzt werden die Arbeiten auf Papier von ausgewählten Ölstudien und Gemälde.

Ob Genre- und Erotik-Szenen, Landschafts- und Historienbilder:
Genaues Hinschauen lohnt. Etwa bei Fragonards Zeichnung „Der Kuss“. Auffällig ist eine aus den Fugen geratene Landschaft in brauner Tusche. Dann entdeckt man Amor mit seinem Liebesfächer und erst zum Schluss - unter hellem Wolkenstaub verdeckt - ein eng umschlungenes Liebespaar.

In der „Überraschung“, einer Ölstudie für die Lieblingsmätresse Ludwigs XV., ist die heitere Szene im Vordergrund. Die Angst der Frau, die ihren Geliebten auf der Leiter rechts unten am Bildrand warnt, erschließt sich erst bei intensiver Betrachtung.

Doch Fragonard (1732—1806) kann auch ganz anders: Anstößig erscheint die Szene, in der ein Maler ein „Neues Modell“ begutachtet: Ein sehr junges Mädchen sitzt mit entblößter Brust und schamgeröteten Wangen, hergebracht offenbar von der Frau Mama, auf einem Diwan. Des Künstlers Blick ruht wohlgefällig auf der Kleinen, während er ihr mit einem Stock noch den Rock hochschiebt.

Geradezu schamlos geht es auf dem Ölgemälde gegenüber weiter, auf dem sich ein Mädchen mit einem Hund vergnügt. Doch was heute anrüchig erscheint, war Stil einer Zeit, die heitere vergnügte Bilder liebte. Es ist aber auch Ausdruck seiner Künstler-Biografie.

Fragonard, in Grasse geboren, war zunächst Schüler von Jean-Siméon Chardin, bevor er in das Atelier von François Boucher eintrat. Nach einem Stipendium für eine fünfjährige Italienreise standen die Chancen für eine Akademie-Laufbahn gut. Doch Fragonard wurde freischaffender Künstler.

Erotische Szenen waren bei seinen Gönnern und Mäzenen ebenso gefragt wie idealisierte Bilder von kinderreichen Familien, die mit Tieren schmusen. Je erzählerischer, desto besser: Beim Gemälde „Liebesinsel“ entführt Fragonard den Betrachter mit dem Boot auf eine Insel, lässt ihn Treppen erklimmen und Nischen erkunden, bevor er die geheimnisvolle Landschaft als Ganzes erleben kann.

Der Fokus auf die Zeichnung war zeitgemäß. Die Gattung war im 18. Jahrhundert nicht nur Vorstudie für das große Gemälde. Ob mit Tusche oder Kreide - in opulenten goldenen und kunstvoll geschnitzten Rahmen rückte die Zeichnung in den Mittelpunkt des Salons.

Fragonard war im Zuge der Französischen Revolution verarmt und vorübergehend in Vergessenheit geraten. Mit grandiosen Landschaften wurde er später aber zum Vorbild für viele Romantiker. Den Künstler hierzulande neu zu entdecken, ist sicher ein Verdienst der Schau. Die Bräuche, Sitten und Moden des Rokoko zu betrachten, macht jedoch auch jenseits der akademischen Betrachtung Spaß.

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