Skandal Tsangaris „Lulu“ in Salzburg ausgebuht

Salzburg (dpa) - Das Atelier des Malers gleicht einer riesigen Gebärmutter samt Eierstock. Von links hinten robbt unter Stöhnen und Grunzen ein waberndes Paket heran, aus dem Arme und Beine ragen.

Skandal: Tsangaris „Lulu“ in Salzburg ausgebuht
Foto: dpa

Unter dem beiläufigen Geplauder des Malers und seines Kunden Dr. Goll, der bei dem Künstler ein Porträt seiner Gattin Lulu in Auftrag gegeben hat, entwinden sich dem Paket drei junge Frauengestalten, drei Lulus.

Das wirkt wie die Häutung eines Insekts oder die Geburt eines schleimigen Aliens. Von oben hängen ein gutes Dutzend großformatige Gummibälle herab, die sich heben und senken. Bizarrer Beginn einer umstrittenen Neuinszenierung von Frank Wedekinds „Lulu“ am Donnerstagabend bei den Salzburger Festspielen auf der Pernerinsel in Hallein.

Es scheint, als habe die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari dem Festival mit ihrem Theaterdebüt, der letzten Station des diesjährigen Premierenreigens, doch noch einen mittleren Skandal beschert. Nach etwa zwei Dritteln der zweistündigen Aufführung, die keine Pause hat, verließen erste Zuschauer die alte Salzsiederhalle, die Off-Spielstätte des Festivals.

Am Ende des Spektakels gab es nur matten Applaus für die Akteure, darunter Großtalente wie die junge Anna Drexler oder der schrille Benny Claessens. Dann schien es, als müsse das Regieteam mehr oder weniger gewaltsam auf die Bühne gezerrt werden. Dort wurden Tsangari und ihr Team mit heftigen Buhs und Pfiffen empfangen.

Es war ein Skandal weniger des Konzepts wegen als der Langeweile. Denn die Idee der drei Lulus, die Tsangari wohl als Sinnbild der multiplen Persönlichkeit dieser als Femme fatale, als Vamp oder als Inkarnation des „ewig Weiblichen“ beschriebenen legendären Theaterfigur versteht, wird bis zum Ende gnadenlos durchgezogen. Und läuft sich bald tot.

Oft müssen die drei Lulus, neben Drexler sind dies Isolda Dychauk und Ariane Labed, unisono sprechen, was holprig klingt und echte Dialoge zwischen den verschiedenen Figuren unmöglich macht. Sie hopsen auf ihren Gummibällen herum wie in der Ergotherapie, rollen im Innern besagter Kugeln über die Bühne oder jagen wie eine aufgekratzte Jungmädelschar zwischen denselben umher.

Identifikation ist in diesem extrem konstruierten Setting kaum möglich. Zumal auch die Männer - Schwarz, Dr. Goll, Schöning, Alwa - die Lulu reihenweise verfallen und auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger gewaltsam zu Tode kommen, meist leidenschaftslos sprechen und agieren. Das hätte man auch vom Tonband einspielen können, wie die unheilvoll dräuende Bühnenmusik, ohne die - inklusive Videos - heute auf kaum einer Theaterbühne mehr etwas geht.

Die Geschichte selbst wird von Tsangari überraschend konventionell erzählt. Bis auf den Schluss, wenn sich die Lulus und die ihr in echter Liebe verfallene Gräfin Geschwitz (Fritzi Haberlandt), streckenweise auf Englisch unterhalten. Der finale Mord an der in London als Hure gestrandeten Lulu durch Jack the Ripper fällt flach.

Spannung, Geheimnis, gar Erotik sind in dieser Inszenierung Mangelware. Aber vielleicht gehörte das ja zum Konzept. Vielleicht wollte Tsangari zeigen, wie im Programmheft angedeutet, dass das Phänomen zwischenmenschlicher Anziehung in all ihren Varianten ausgedient hat, weil Geschlechter nur ein Konstrukt seien. Und weil Sexualität als Ausdruck von Ekstase, Sinnlichkeit, Liebe, Metaphysik keinen Platz mehr hat in der von „Konsumrationalität“ geprägten Post-Post-Moderne. Doch für einen packenden Theaterabend bei den Salzburger Festspielen ist das zu wenig.

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