Anna Netrebko mit Tattoo in Salzburger „La Bohème“

Salzburg (dpa) - Eine großflächige Tätowierung schmückt den Hals von Anna Netrebko, dem russischen Superstar der Opernszene. Ihre große Liebe trifft sie in einer vermüllten Männer-WG mit herumliegenden Matratzen.

Puccinis Oper „La Bohème“ um die Liebe hungerleidender Künstler im Paris des 19. Jahrhunderts verlegen die Salzburger Festspiele am Mittwochabend in die Moderne. Die Begeisterung des Publikums gilt weniger der Inszenierung als den Stimmen der beiden Hauptdarsteller.

Den zehnminütigen Applaus und die „Bravo“-Rufe können besonders Netrebko und der polnische Tenor Piotr Beczala als ihr Liebhaber Rodolfo für sich verbuchen. Netrebkos in jeder Szene überzeugender Sopran verleiht der todkranken Mimi das tiefe Gefühl, die Würde und die Tragik der Vorlage. Beczala harmoniert mit klarer Präsentation ebenso mit ihr, wie Nino Machaidze als egoistische Musetta und Massimo Cavalletti als Rodolfos Künstler-Freund Marcello.

Freundliche Zustimmung erhalten auch die Wiener Philharmoniker unter Daniele Gatti. Umstritten präsentiert sich dagegen die Inszenierung der ersten Aufführung einer Puccini-Oper bei den Festspielen. Der italienische Regisseur Damiano Michieletto setzt bei seinem Konzept deutlich auf die Effekte des Kinos mit räumlichen Sprüngen und visuellen Effekten, die spektakulär anmuten sollen.

Dabei sind wegen der Live-Übertragung der Fernsehsender für die Beleuchtung wohl Kompromisse nötig, die die Atmosphäre von „La Bohème“ ankratzen. Die ärmliche Künstler-Behausung im ersten Bild und der Weihnachtsrummel im kalten Paris des zweiten Aktes wirken in ihrem Kontrast gleich grell. Ebenso überdeutlich erscheint die Konsumkritik.

Der leuchtend bunt gekleidete Kinderchor wird vor einem dreidimensionalen Pariser Stadtplan mit Geschenkkartons beworfen. Schließlich sitzen alle Kinder mit der gleichen Play-Station am Bühnenrand. Derweil schleppt Musettas ältlicher und reicher Liebhaber Einkaufstaschen angesagter Designer über die Bühne, wie sie tagsüber in den Salzburger Gassen wenige Meter vom Festspielhaus ebenso aus den Boutiquen getragen werden.

Das bunte Tattoo an Netrebkos Hals ist als punkiges Attribut eher für das Fernsehen gedacht. Selbst im vorderen Parkett des Festspielhauses lässt es sich nicht erkennen. Für ein echtes Punkgirl kommt Mimi in ihrer vergeblichen Liebe denn auch zu adrett statt wirklich abgerissen daher.

Die Wendung ins Tragische verlegt die Salzburger Regie aus den Künstlerquartieren der Pariser Bohème an den Stadtrand. Versteckt hinter einer Wurstbude an einer vereisten Autobahnauffahrt hört Mimi Rodolfos Bericht über ihre tödliche Schwindsucht und bricht im Schnee zusammen.

In der ergreifenden Sterbeszene hält es keiner ihrer Freunde wirklich bei ihr aus. Der unstete Rodolfo, ihre große Liebe, wendet sich ab, sein Blick geht ins Leere. Einer der Künstler tanzt parodistisch im goldenen Paillettenkleid, wie es ähnlich auch im Premierenpublikum zu sehen ist. Auf die riesige verregnete Fensterscheibe im Hintergrund schreiben überdimensionale Finger „MIMI“ - und verwischen die Buchstaben wieder. Wenige Minuten später kämpft sich die Festspielgemeinde in Smoking und Abendkleid durch die Schlangen der wartenden Limousinen zu den Empfängen der Sponsoren.

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