Alle sind verrückt nach Lena

Esprit: Unbekümmert und kokett: Nicht der Song hat gewonnen, sondern die schräge Art der 19-Jährigen.

Oslo/Hannover. "Das ist der Wahnsinn. Ihr seid ja verrückt! Es regnet, geht rein", rief Lena Meyer-Landrut Sonntagnachmittag auf dem Flughafen Hannover per Megaphon in die vollbesetzen Besucherränge. Man braucht keine hellseherische Fähigkeit für die Vorhersage, dass solche "Wahnsinns"-Sätze ebenso wie Kleidchen mit Strumpfhose à la Lena nun erst mal total angesagt sind.

Ganz Europa ist nun verrückt nach Lena - der Nachname dürfte bei der internationalen Vermarktung schnell entfallen. Die Gewinnerin des Eurovision Song Contest (ESC) reagiert darauf so unbekümmert und leicht kokett wie immer.

Fröhlich nahm sie die Glückwünsche des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff entgegen, überwältigt und ein bisschen orientierungslos stand sie nach ihrem Siegerlied auf der Bühne: "Ich weiß nicht, wo ich hin soll, ich quatsche einfach noch ein bisschen weiter."

Anscheinend hat sie ihr kometenhafter Aufstieg im Innersten nicht verändert. Dabei ist ihre Geschichte wirklich märchenhaft - was nicht nur an Lenas Schneewittchen-Charme liegt. Bis zum 2.Februar 2010 kannten die Schülerin aus Hannover nur ihre Familie, ihre Freunde und vielleicht einige besonders aufmerksame Zuschauer des RTL-Nachmittagsprogramms.

An diesem Februar-Dienstag begann die Castingshow "Unser Star für Oslo" als Gemeinschaftsprojekt von ARD und ProSieben. Diese Vorauswahl hat Lena am 12.März erwartungsgemäß gewonnen, weil alle Juroren fasziniert von ihr waren, auch wenn sie kaum sagten konnten, warum. Den Zuschauern erging es ähnlich. Lenas Popularität wuchs stetig - ganz anders als bei den deutschen Kandidaten der vergangenen Jahre. Und deshalb drückten am Samstag im Schnitt 14,69 Millionen ARD-Zuschauer die Daumen - aber wer glaubte schon ernsthaft an einen Sieg?

Man hatte genug Zeit zu grübeln, während andere Interpreten wahlweise altmodischen Pop, krampfigen Ethno-Rock oder sattsam bekannte Schmetterballaden vortrugen - mit unermüdlicher Unterstützung der Windmaschine. Man konnte weiter nachdenken über die Frage, ob es günstig war, dass sich Lena mit ihrem schlichten Auftritt so deutlich von den anderen absetzte, als das norwegische Fernsehen nach dem zweiten Schnelldurchlauf zum "Eurovision Flashmob Dance" überging.

Was aussah, wie spontane Straßentänze von hunderten Menschen in zehn europäischen Städten, war zumindest teilweise aufgezeichnet. Das norwegische Fernsehen nahm die Szenen für die 60-minütige Sequenz aus Düsseldorf am 23. April mit fast 1000 Beteiligten auf dem Burgplatz auf. Alle Bewegungen wurden vorher eingeübt. Die Produzenten wollten "sichergehen, dass wir gute Bilder haben".

Doch dann regnete es Punkte auf Lena, schon bald kam man als Zuschauer aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Sie ist der reizendste Beweis dafür, was man alles nicht braucht, um bei einer Castingshow oder dem Eurovision Song Contest Erfolg zu haben.

Es ist zum Beispiel völlig unnötig, dass der Moderator die Kandidaten in Bohlen-Art herunterputzt und anzügliche Bemerkungen über ihr Kleidung macht. Man muss sich auch keineswegs mit den großen Boulevard-Treibern RTL und "Bild" gemein machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und auf der Bühne sind weder ein Press-Decolleté noch exaltierte, brustrasierte Tänzer Pflicht. Es reicht die umwerfende Präsenz einer gerade 19-Jährigen, um die riesige Bühne in Oslo angemessen zu füllen. Denn nicht der Song vom "Satellite" hat gewonnen, sondern Lena selbst mit ihrer halb spröden, halb schrägen Art. Das weiß auch ihr Entdecker Stefan Raab: "Lena hätte mit jedem Lied gewonnen." Er soll es auch für den nächsten ESC richten - und das wird nach diesem Sieg richtig schwer.

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