Mercedes 300 SL Roadster: Traumwagen auf Abwegen

Berlin (dpa-infocom) ­ Er ist der „Sportwagen des Jahrhunderts“ und für viele Oldtimerfans der Traum schlechthin: der Mercedes 300 SL. Ob als Flügeltürer oder Roadster ­ kaum ein anderer Klassiker hat so einen Kultstatus wie der legendäre Silberpfeil aus den Fünfzigern.

Für die meisten Fans wird der Mercedes 300 SL auf ewig ein Traum bleiben. In nur neun Jahren wurden nicht einmal 4000 Exemplaren gebaut. Bei Auktionen und Klassik-Händlern zählt der schnelle Schwabe diesseits von Ferrari und Bugatti regelmäßig zu den teuersten PS-Pretiosen: „Selbst ein schrottreifes Exemplar ist kaum unter 300 000 Dollar zu bekommen“, sagt Mike Kunz, der das Mercedes Classic Center in Amerika leitet. Und er muss es wissen. Schließlich sind dorthin die meisten SL verkauft worden. „Für einen fahrbereiten Wagen zahlt man schnell 100 000 oder 200 000 Dollar mehr. Und mit einem besonders guten Auto wird der Preis fast siebenstellig. Ob Dollar oder Euro spielt dabei fast keine Rolle“, zerstört er die Illusionen bodenständiger Träumer.

Faszinierende Zeitreise mit hohem Tempo

Umso faszinierender ist es, wenn man die Gelegenheit zu einer Ausfahrt mit dem Kultklassiker bekommt ­ und dabei auch noch zurück zu den Wurzeln findet. Denn auch wenn der SL vor allem den Reichen und Schönen gefallen hat, war er zu allererst einmal ein reinrassiger Sportwagen. Noch bevor der US-Importeur Maxi Hoffmann in Stuttgart die Entwicklung eines Serienfahrzeugs angemahnt hatte, waren damit Rennfahrer wie Stirling Moss oder Hans Hermann unterwegs. Und zwar ausgesprochen schnell. Nicht umsonst gewannen die Portotypen des SL zum Beispiel Rennen wie die Mille Miglia oder die Carrera Panamericana.

Ganz im Geist dieser Zeit wurde dieser 1962er SL von einem der vielen Vorbesitzer zu einem Rallye-Auto zurück gerüstet. Das Verdeck flog aus Gewichtsgründen über Bord und machte Platz für zwei riesige Überrollbügel. Und wo andere SL im prunkvollen Ornat mit glänzendem Chrom vorfahren, trägt dieser Wagen Zusatzscheinwerfer groß wie Schallplatten. Die wichtigste Änderung gilt allerdings dem Motor. Zwar bleibt der drei Liter große Sechszylinder der alte. Doch wird der Auspuff wie früher bei den Rennwagen direkt vor dem Beifahrer nach draußen geführt. Damit klingt der Benzindirekteinspritzer nicht nur so brutal und brachial wie ein Maschinengewehr auf Dauerfeuer, sondern vor allem kann er freier atmen und hat deshalb mehr Leistung. Rund 176 kW/240 PS sollten es schon sein, sagt der Mechaniker.

Respekt bremst den Elan

Mit seiner Alukarosse auf einem Gitterrahmen keine 1500 Kilo schwer hat der kräftige Klassiker seinen Elan noch nicht verloren. Nicht das Fahrzeug, sondern der Fahrer ist der limitierende Faktor, weil er Respekt vor Alter und Wert des Wagens hat. Doch nachdem die Begleitcrew jetzt schon zum wiederholten Mal ermunternd winkt, darf der SL noch einmal zeigen, was er kann. Der Motor heult laut auf, der dünne Schaltknauf findet seinen engen Weg durch die Vierer-Gasse, und während der Drehzahlmesser munter über 4000 Touren klettert, schnellt der Roadster davon als wären all die vielen Jahre längst von ihm abgefallen. Tempo 100 erreicht er in rund zehn Sekunden. Und wenn der Tacho auch nur halbwegs genau geht, sind mit der puristischen Rallyeversion mehr als 250 km/h möglich.

Dass dem Wagen in der Geschichte irgendwann einmal das Radio abhanden gekommen ist, stört dabei keinen. Denn so, wie der Motor bollert und der Wind pfeift, kann man schon die Kommandos des Beifahrers kaum hören. An Musik ist da erst gar nicht zu denken, selbst wenn Janis Joplins Hit „Mercedes-Benz“ natürlich prima passen würde. Viel wichtiger wäre aber eine Klimaanlage. Denn obwohl der Fußraum dieses Oldtimers eigens mit Dämmblechen statt Teppichboden ausgeschlagen wurde, kann man in den Rennfahrerschuhen bald Frühstückseier kochen, so heiß wird es. Dass es oben herum ohne Verdeck schnell mal empfindlich kühl wird, ist dabei nur ein kleiner Trost.

Auch ohne elektrische Helfer sicher

Nicht nur der Motor macht bei hohem Tempo eine überraschend gute Figur. Auch das Fahrwerk ist eine Freude. Obwohl dem Wagen noch alle elektronischen Helfer fehlen, lässt er sich problemlos auf Kurs halten. Man braucht halt nur ein wenig Kraft, wenn man das Lenkrad groß wie das Ruder eines Schiffes und fragil wie eine trockene Salzbrezel herum reißen oder eine Vollbremsung machen möchte.

Fazit: Neue Sportwagen verlieren den Reiz

Nach 1000 schnellen Meilen mit dem rasenden Rentner schmerzen zwar die Knochen, die Kleider sind getränkt vom Schweiß und dem Geruch nach heißem Öl und verbranntem Gummi, die Haare stehen steil zu Berge und in den Ohren hat man ein verdächtig penetrantes Singen, doch die Faszination für den SL hat darunter nicht gelitten. Im Gegenteil: Jeder moderne Sportwagen wirkt künftig noch viel kälter und gefühlloser als er ohnehin schon ist.

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