Motorshow in Tokio: Bunte Visionen statt grauer Alltagsautos

Tokio (dpa/tmn) - Auf den ersten Blick ist der Teatro for Dayz auf dem Nissan-Stand ein Kei-Car wie jedes andere: ein winziger Kastenwagen, wie er in Tokio zu Hunderttausenden auf den Straßen fährt.

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Doch wenn sich die außen angeschlagenen Türen der Studie wie Scheunentore öffnen, schaut man in eine Kabine, die bunt ist wie eine der berühmten japanischen Spielhöllen: Ein rundes Dutzend Beamer projizieren - je nach Lust und Laune des Fahrers - Fotos und Videos auf Sitze und Konsolen. Erlaubt ist, was gefällt - ob frisches Gras oder ein Bonbon-Muster. So etwas kommt an bei den Besuchern der Motorshow in Tokio (Publikumstage 30. Oktober bis 8. November).

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Während die japanischen Hersteller im Ausland eher für bodenständige Fahrzeuge und zurückhaltendes Design stehen, treiben sie es beim Heimspiel umso bunter. Manche Messestände erinnern an Spielwarenläden und schicken Besucher auf Traumreisen mit von Comic-Autos, Minibussen und Spielzeugsportwagen bevölkerten Straßen. Bei Toyota drehen sich der Westentaschen-Bolide S-FR, ein chromglänzender Kikai im Hotrod-Design oder der FCV-Plus als Kleinwagen mit Brennstoffzelle im Rampenlicht. Suzuki lässt mit dem Air Triser den legendären VW-Bus alt und spießig aussehen und lockt Städter mit dem Bonsai-Buggy Mighty Deck an den Strand. Ein auf Karosserieumbauten spezialisierter Toyota-Ableger verwandelt einen konservativen Van wie den Alphard in einen Hochgeschwindigkeitszug für die Straße - zumindest von vorne sieht der Hercule mit seinem martialischen Grill aus wie ein Shinkansen ohne Schienen.

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Bei den verspielten Japan-Studien gibt es allerdings zwei Ausnahmen: Der Mazda RX-Vision ist kein Kinder- sondern ein Männer-Spielzeug und soll Lust machen auf einen Wankelmotor-Sportwagen auf Porsche-Niveau. Irgendwann zwischen 2017 und 2020 könnte er auf die Straße kommen, sagt Deutschlandchef Josef Schmid. Und der Honda Wander Stand sieht zwar aus wie eine Telefonzelle auf Rädern, adressiert aber ein Problem, das in Japan drängt: Die Überalterung der Gesellschaft. Genau wie den elektrischen Sitzhocker Uni-Cab oder eine robotische Beinschiene sehen die Japaner das Konzeptfahrzeug als Mobilitätshilfe für Senioren - und denken über eine Serienfertigung nach.

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Die Europäer tun sich in Tokio offenbar ein bisschen schwer mit der verspielten Art der Japaner. Doch zumindest Mercedes lässt sich darauf ein und zeigt die Studie Konzept Tokyo. Innen eine Luxuslounge mit Hightech-Projektionen und selbst lernendem Infotainment-System, blitzt und blinkt das 4,80 Meter lange Showcar mit beleuchteten 26-Zoll-Felgen und LED-Installationen wie eine Discokugel auf Rädern. Auf Wunsch bewegt sich die von einer Brennstoffzelle angetriebene Studie auch autonom, teilt Mercedes mit.

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Angesichts der vielen verrückten Studien gerät der mit einem höflichen Kotau und einer fünfminütigen Entschuldigungsrede abgehandelte Abgasskandal bei VW zur Nebensache - genau wie die Serienneuheiten der Show. Dabei hat die Messe eine Handvoll Weltpremieren zu bieten, die bald von der Bühne auf die Straße rollen. Das neue Lexus-Flaggschiff LS zum Beispiel ist nur noch der Form halber und wegen des Brennstoffzellen-Antriebs eine Studie, genau wie der überraschend europäisch gezeichnete Subaru Impreza Fünftürer, der auch als Audi oder Alfa Romeo durchgehen würde. Und während man auf das neue Mini Cabrio und die 368 kW/500 PS starke Sonderserie BMW M4 GTS noch bis zum Frühjahr warten muss, kann man die Tokio-Premieren Porsche Macan GTS mit einem um 15 kW/20 PS auf 265 kW/360 PS angehobenen V6-Benziner und die Turbo-Updates für die Allrad-Versionen des Porsche 911 schon in diesen Tagen bestellen, teilt der Hersteller mit.

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Neben den Studien und Serienautos sind in Japan alternative Antriebe und autonomes Fahren große Themen. Mit starker Forderung und Förderung durch die Regierung arbeiten alle japanischen Hersteller an führerlosen Autos, die zur Messe auf Teststrecken durch Tokio rollen. Nissan hat dafür sogar ein eigenes Showcar auf die Bühne gestellt. Außerdem bekommt der Toyota Mirai als erstes designiertes Serienfahrzeug mit Brennstoffzelle jetzt Konkurrenz durch den Honda Clarity, der in Tokio seine Weltpremiere feiert und nach Angaben von Honda-Manager Thomas Brachmann im Frühjahr auf die Straße kommen soll. „In homöopathischen Stückzahlen werden wir ihn auch nach Deutschland bringen“, kündigt er an.

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Dass sich dafür in Tokio trotzdem kaum jemand interessiert, liegt an der konventionellen Machart der Modelle und an der Mentalität der Japaner: „Wir lieben Comics und alles, was bunt ist“, sagt Nissan-Designer Satoru Tai und sieht darin kleine Fluchten aus einem extrem reglementierten und uniformen Alltag. Und selbst der matte Lack auf dem M4, die ins Dach des Mini Cabrios gewebte Union-Jack-Flagge oder das Feuerrot des Macan wirken einfach ziemlich langweilig, wenn zwei Stände weiter ein Auto leuchtet, dessen Sitze eben noch mit Rollrasen bezogen waren und jetzt aussehen, als seien sie mit Tausenden von Smarties dekoriert. „Autos sind für Japaner weniger Fortbewegungsmittel als Accessoires. Und die können gar nicht bunt genug sein“, erklärt Tai.

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