Lieber heute als morgen - PS-Branche zeigt sich pragmatisch

Genf (dpa/tmn) - Ihre Reden sind bedeutungsschwer, und sie blicken in ihnen weit in die Zukunft. Wenn Männer wie VW-Chef Matthias Müller oder sein Digitalisierungsbeauftragter Johann Jungwirth auf dem Genfer Salon (Publikumstage 3. bis 13. März) ans Mikrofon treten, sprechen sie von revolutionären Zeiten.

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Und sie sprechen davon, dass sie das Auto und mit ihm die Mobilität ganz neu erfinden müssen. Getrieben von der Digitalisierung, von der Vision des autonomen Fahrens und der Hoffnung auf den Elektroantrieb entwerfen sie eine Welt, in der Autos, wie wir sie kennen, nur noch eine Nebenrolle spielen. „Das Auto der Zukunft ist intelligenter, vernetzter und smarter, es fährt elektrisch und bald auch autonom“, sagt Müller.

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Doch wer danach durch die Messehallen läuft, sieht ein anderes Bild: Was die PS-Branche dort ins Rampenlicht rückt, wirkt vertraut und wenig überraschend. Zwar gibt es viele neue Autos, aber keine echten Neuheiten. Ganz zu schweigen von alternativ angetriebenen oder vom Computer gesteuerten Fahrzeugen. Offenbar müssen die Hersteller bei allem Weitblick erst einmal im Hier und Jetzt ihre Geschäfte machen. Da schaut jeder beim anderen ab, kocht fremde Erfolgsrezepte nach oder frischt einfach die eigenen Dauerbrenner auf.

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Beispiel Hyundai: So ist der Ioniq laut Entwicklungsvorstand Woong-Chul Yang zwar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem der führenden Anbieter für umweltfreundliche Fahrzeuge. Und er ist als maßgeschneidertes Öko-Auto mit Hybrid-, Plug-in- oder Elektroantrieb eine der wenigen grünen Neuheiten in Genf. Aber im Grunde ist das Modell nur eine geschickte Nachahmung des Toyota Prius. Und auch wenn das Schwestermodell Kia Niro trendiger verpackt ist und als kleiner Crossover daher kommt, ist er kaum innovativer.

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Von der Konkurrenz lernen - das gilt auch für die Geländewagen, die in Genf ihren Einstand geben: Der VW T-Cross Breeze ist zwar noch eine Studie und als Cabrio sogar halbwegs erfrischend, weil es so etwas bislang nur bei Land Rover gab. Doch wenn er in ein, zwei Jahren als Polo-SUV in Serie geht, wird er wohl zum ganz gewöhnlichen Herausforderer für Opel Mokka oder Peugeot 2008, die in Genf beide bereits ihr erstes Facelift bekommen. Beim Audi Q2, immerhin schon reif für die Produktion in diesem Herbst, ist es als Antwort auf Mercedes GLA und BMW X1 nicht anders. Der Toyota C-HR zielt auf Modelle wie den Nissan Juke und den Honda HR-V. Und auch der Levante als erster Geländewagen von Maserati folgt einem Pfad, den Autos wie der BMW X5 oder der Porsche Cayenne bereits ausgetreten haben.

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Viele SUVs sind in Genf zu sehen, und auch die unverzichtbaren Luxusmodelle wie der geliftete Bentley Mulsanne oder Kleinserien wie von der Carrozzeria Touring Superleggera. Doch ins Blickfeld rücken mengenmäßig Familienkutschen und Vernunftsautos. Und auch sie fahren in einer festen Spur: Der Optima Sportwagon ist eine Premiere für Kia und doch nur eine schöne Anlehnung an Audi A4 & Co, der Kombi des Renault Mégane und oder der Scénic am gleichen Stand sind Neuauflagen fest etablierter Erfolgsmodelle genau wie der Civic bei Honda.

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Die drei baugleichen Großraumlimousinen Toyota ProAce, Citroën Spacetourer und Peugeot Traveller folgen als luxuriöse Reiseraumschiffe dem Vorbild von Mercedes V-Klasse und VW Transporter. Fiat hat für die Rückkehr in die Kompaktklasse sogar den alten Namen Tipo ausgegraben, der nach der Limousine nun auch ein Schrägheck und einen Kombi ziert.

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Selbst die Sportwagen besinnen sich auf alte Tugenden: Porsche rechtfertigt den neuen Vierzylinder im überarbeiteten Boxster mit der Zusatzbezeichnung 718 nach einem alten Rennwagen. Auch zeigt der Hersteller den 911 als radikalisierten 911R mit 368 kW/500 PS starkem Saugmotor und gründlichem Komfortverzicht. Der neue Aston Martin DB11 parkt auf der Bühne in einer Ahnengalerie, die zurück geht bis zu James Bonds Dienstwagen DB5 aus den frühen 1960ern. Und Opel lässt zumindest mit einer Studie den legendären GT noch einmal aufleben.

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Keine Neuheit zeigt den evolutionären Ansatz der Autobranche allerdings besser als der Bugatti Chiron, der den Veyron beerbt. Denn für dieses Auto gab es nur einen Entwicklungsauftrag, sagt Firmenchef Wolfgang Dürheimer: „Wir machen das Beste spürbar besser.“ Wer für knapp drei Millionen Euro das teuerste Serienfahrzeug der Welt kauft, darf sich auf bei Volkswagen unerreichte 1103 kW/1500 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von 420 km/h freuen. Doch Revolutionen, wie sie die PS-Bosse in ihren Reden versprechen, sehen irgendwie anders aus.

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