Blitzer-Debatte: Im Zweifel gegen Bußgeldbescheid wehren

Goslar (dpa/tmn) - Raser verursachen in Deutschland jährlich 70 000 Unfälle - doch die Akzeptanz für Tempokontrollen nimmt ab. Einspruch und Prozesse sind an der Tagesordnung, Messmethoden werden infrage gestellt.

Beim Verkehrsgerichtstag suchen Experten einen Ausweg.

Die Autos auf Deutschlands Straßen werden immer PS-stärker und komfortabler. „Da merkt man kaum noch, wie schnell man fährt“, sagt Kay Nehm, Präsident des Verkehrsgerichtstages. „Dabei wird das Tempo immer höher“. Die fatalen Folgen: Jedes Jahr verursachen Raser allein in Deutschland knapp 70 000 Unfälle. Rund 40 Prozent der Verkehrstoten sind auf Kollisionen als Folge zu hohen Tempos zurückzuführen, berichtet der Automobilclub Europa ACE. Innerhalb von zehn Jahren seien auf diese Weise 20 000 Menschen ums Leben gekommen.

Angesichts dieser Zahlen müsste die Bevölkerung eigentlich großes Verständnis für Tempokontrollen haben, analysiert Johann-Markus Hans von der Deutschen Hochschule der Polizei auf dem Verkehrsgerichtstag (23. bis 25. Januar) in Goslar. „Doch genau das Gegenteil ist der Fall.“ Anfeindungen und Prozesse nähmen zu. Zudem würden die Messmethoden immer häufiger infrage gestellt.

Kein Wunder, findet der Verkehrsjurist Christian Janeczek vom Deutschen Anwaltverein (DAV): „Es ist nämlich ein Irrglaube, dass ein geeichtes Messgerät immer nur richtige Ergebnisse liefert“. Dies könne man schon daraus schließen, dass die Hersteller ständig neue Software-Updates lieferten.

Derzeit sind nach Zahlen des ACE bundesweit etwa 3100 fest installierte Geräte zur Geschwindigkeitsüberwachung im Einsatz. DAV-Experte Janeczek geht davon aus, dass die „hochkomplexen technische Apparate“ Macken haben können. „Sie arbeiten zum Teil falsch.“ Hinzu kämen Fehler durch unsachgemäße Bedienung. Es sei jedoch schwierig, dies nachzuweisen. Geblitzte Autofahrer, die eine Falschmessung vermuten, könnten sich kaum gegen Bußgeld oder Fahrverbot wehren. Viele Verwaltungsbehörden gäben nicht einmal Rechtsanwälten betroffener Autofahrer vollständige Akteneinsicht, bemängelt Ulrich May, Jurist beim ADAC. Auch wer einen Sachverständigen bemühe, um die korrekte Funktionsweise eines Tempomessgerätes überprüfen zu lassen, habe es schwer.

Gutachter stünden oft vor unlösbaren Problemen, weil sie unter dem Hinweis auf „schützenswerte Betriebsgeheimnisse“ die erforderlichen Angaben zu den Geräten nicht bekämen, beklagt der vereidigte Sachverständige Klaus Schmedding aus Oldenburg. Und ob die Messbeamten korrekt gearbeitet hätten, lasse sich wegen mangelhafter Protokolle teilweise nicht nachvollziehen.

Für die Autofahrer könne dies fatale Folgen bis zum Verlust des Führerscheins haben, sagt DAV-Verkehrsjurist Janeczek. Zur korrekten Verteidigung müssten Anwälte von den Behörden deshalb neben dem Original des Messfotos auch das Messprotokoll, die Lebensakte des Messgerätes und Einblick in die Funktionsweise der Apparatur erhalten.

Wer eine größere Akzeptanz der Messergebnisse erreichen wolle, müsse deren Überprüfbarkeit gewährleisten, fordert auch ADAC-Experte Jost Henning Kärger. Außerdem dürften die Behörden zum Blitzen nur „nachvollziehbare Gefahrenschwerpunkte“ auswählen. Sonst komme der Eindruck auf, dass allein gemessen werde, um Einnahmen zu erzielen.

Grundsätzlich dürfe es bei Tempo-Messungen nicht um Abzocke gehen, sondern nur um die Verkehrssicherheit, sagt auch ACE-Juristin Yasmin Domé. Statt Blitzer an einzelnen Stellen zu installieren, wäre es besser, die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer bestimmten Strecke zu messen. Der Verkehrsgerichtstag hatte sich bereits 2009 für ein solches Verfahren ausgesprochen. Geschehen, so bemängelt der ACE, sei in dieser Hinsicht bisher aber nichts.

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