Alltagsautos verlieren ihr Langweiler-Image

Genf (dpa/tmn) - Unverwechselbar statt unscheinbar: Kleinwagen, Kompakte und Vans mausern sich zunehmend von drögen Kisten für den Alltagsgebrauch zu Fahrzeugen, die mit eigenwilligen Finessen Emotionen wecken.

Auf dem Genfer Salon finden sich mehrere solcher Kandidaten.

Kuschelweiches Leder, Wohlfühlsessel und Tablet-PCs für die Passagiere im Fond: Das erwartet man von einem Maybach, Rolls-Royce oder einem anderen Nobelschlitten. In einem grundsoliden Familienauto wie dem Opel Zafira war damit eher nicht zu rechnen - bis jetzt. Mit ihrer Designstudie „Tourer Concept“ für die nächste Generation des Kompaktvans haben die Rüsselsheimer den Gästen des Genfer Automobilsalons (3. bis 13. März) jetzt aber einen Appetithappen vorgesetzt. Er soll Lust auf mehr Komfort, mehr Klasse und Charme in einem wenig spektakulären Segment machen. Viele Hersteller verfolgen dasselbe Ziel: Mauerblümchen-Modellen Sex-Appeal zu verleihen.

Kleinwagen, Vans, Kompakte - sie alle sollen also aufregender werden. Um das zu erreichen, schlagen die Autobauer unterschiedliche Richtungen ein. Während Opel beim Konzeptauto des Zafira auf Luxus statt Langeweile im Innenraum setzt, will Ford beim B-Max potenzielle Kunden mit einem ungewöhnlichen Türkonzept verzücken. Der 4,06 Meter lange Van, der auf dem Fiesta basiert und offiziell noch als Studie gilt, wird vorne konventionell aufgeklappt und hinten aufgeschoben. Da die sogenannte B-Säule zwischen den Türen fehlt, lassen sich die Fahrzeugflanken 1,50 Meter breit öffnen. Das erleichtert den Einstieg für alle Passagiere erheblich. Innerhalb eines Jahres wollen die Kölner den Fünfsitzer zur Serienreife weiterentwickeln.

Volkswagen spielt unterdessen mit der Freude an Vergangenem, ohne dabei die Zukunft aus dem Blick zu verlieren: Retro-Elemente prägen die Studie für eine Großraumlimousine im Stil des legendären VW Bulli aus den 1950er Jahren. Im Wageninnern vermischen sich uriges Design und eine futuristisch anmutende Ausstattung. Die klassischen Rundinstrumente sind Monitoren gewichen, in der Mittelkonsole übernimmt ein iPad die Radio- und Klimasteuerung. In Branchenkreisen werden dem neuen Bulli gute Serienchancen nachgesagt.

Vom Einfallsreichtum der Entwickler profitieren zunehmend auch die Klein- und Kompaktwagen - die Lieblingsautos der Deutschen: „Die Hersteller setzen den Trend fort, Ausstattungsmerkmale aus der Oberklasse in diesen Segmenten einzuführen“, erklärt Autoexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Von den rund drei Millionen Neuwagen, die 2010 hierzulande zugelassen wurden, waren nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts mehr als ein Viertel (27,1 Prozent) Kompaktmodelle. Platz zwei belegten in der Statistik die Kleinwagen mit 18,9 Prozent.

Ein gutes Beispiel für einen Kompakten, der in Zukunft fröhlich aus der Reihe tanzen könnte, ist die Studie Etherea von Infiniti: Mit ihrer höchst ungewöhnlichen Karosserieform irgendwo zwischen Coupé, Limousine und Schrägheck würde eine Serienfassung dem Kompaktklasse-Einheitsbrei problemlos entwischen. Dafür sorgen die gegenläufig angeschlagenen Türen; im Innern besticht der Konzeptwagen mit hochwertigen Materialien, wie man sie aus den höher angesiedelten Modellen der noblen Nissan-Tochter kennt. Den Marktstart des Etherea hat Infiniti für 2014 angepeilt.

Schließlich sorgt noch Mini auf dem Genfer Autosalon mit einem Autozwerg für großes Aufsehen. Das Showcar Rocketman verblüfft vor allem durch zwei technische Finessen, die einen von Mini in Aussicht gestellten neuen Serienkleinstwagen zum Hingucker machen würden: Unter der konventionellen Kofferraumklappe hat der Rocketman noch eine Schublade, die zum Beladen oder auch als Gepäckträger genutzt werden kann. Innovation Nummer zwei sind die Türen mit doppeltem Gelenk, die beim Öffnen nicht so weit aufschwingen. Und: Der Zweitürer ist mit seinen drei vollwertigen Sitzen und einem Notsitz nicht viel länger als das Original von 1959: 3,42 Meter.

Bleibt nur noch abzuwarten, wie viel des Sex-Appeals der Konzeptfahrzeuge und Studien es letztlich in mögliche Serienfahrzeuge schafft. Denn auf Messen nutzen die Hersteller jede Möglichkeit, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wie realistisch die Mittel dazu sind, zeigt sich erst viel später: An den für den Massengeschmack geglätten Modellen in den Schauräumen der Händler.

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