175 Jahre Eisenbahn: Von der Dampflok zum ICE

Nürnberg (dpa) - Vor 175 Jahren schnaufte die erste Dampflok auf deutschem Boden mit gerade einmal 35 Kilometern pro Stunde von Nürnberg nach Fürth. Heute rast ein ICE mit Tempo 300 durch die Lande.

Die Welt hat sich dadurch verändert.

Die Männer tragen zum frisch gebürsteten Zylinder Frack, die Frauen weit ausladende Festtagskleider. Seit Wochen fiebern die Nürnberger dem Ereignis entgegen. Ortsfremde Journalisten nehmen gar tagelange unbequeme Reisen auf sich, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen: Die Fahrt der ersten Eisenbahn auf deutschem Boden.

Am 7. Dezember 1835 ist es endlich soweit. In neun Minuten dampft der „Adler“ die 6,2 Kilometer lange Strecke von Nürnberg nach Fürth. Entlang der Gleise jubeln begeisterte Bürger, am Ziel wird der Zug mit den umgebauten Postkutschenwagen von königlichen Honoratioren begrüßt. Die Nachricht von der erfolgreichen Jungfernfahrt verbreitet sich über die Zeitungen wie ein Lauffeuer.

175 Jahre später feiert Nürnberg das Jubiläum zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem großen Fest. Selbst die umtriebigen Franken ahnten damals wohl nicht im entferntesten, was sie anstoßen haben: Bis 1840 wurden auf deutschem Gebiet mehr als 500 Streckenkilometer gebaut, kurz vor dem Ersten Weltkrieg ist mit mehr als 58 000 Kilometern der Höhepunkt erreicht. Heute flitzen ICE mit Tempo 300 durch Deutschland, das Streckennetz umfasst 34 000 Kilometer.

Und das alles, weil ein paar beständig-dickköpfige Franken von der neuen Technologie derart überzeugt waren, dass sie sämtliche Widerstände überwinden konnten. Die Kaufleute Johannes Scharrer und Georg Zacharias Platner ignorierten einfach, dass die einstige Reichstadt hoch verschuldet und König Ludwig I. für das Vorhaben nicht zu begeistern war. Erfolgreich: Sie erhielten von vielen aufgeschlossenen Geldgebern Unterstützung.

Bei der britischen Firma Stephenson orderten sie eine Dampflok und einen Waggon. „Der Adler wurde zerlegt, in 20 Kisten verpackt, mit dem Schiff nach Köln gebracht und dann auf Fuhrwerke verladen“, erzählt der Direktor des Nürnberger DB-Museums, Jürgen Franzke.

Im Mittelpunkt stand der britische Lokomotivführer William Wilson, über den das „Stuttgarter Morgenblatt“ schwärmte: „Keinen Augenblick müßig, auf alles achtend, die Minute berechnend, da er den Wagen in Bewegung zu setzen habe, erschien er als der regierende Geist der Maschine und der in ihr zu der ungeheuren Kraftwirkung vereinigten Elemente.“

Diese „Kraftwirkung“ wälzte in den kommenden Jahren die Gesellschaft um und befeuerte den Wandel vom Agrar- zum Industriestaat. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die Bahn zum Massentransportmittel auf und wurde neben der Stahlindustrie, dem Kohlebergbau und dem Maschinenbau zu einer der Säulen der Industrialisierung. Schon bald war sie aus der Logistikkette der Wirtschaft und der Versorgung der Bevölkerung nicht mehr wegzudenken, unterstützte Landflucht ebenso wie Tourismus.

Für die Menschen wurde dadurch nicht nur der Alltag anders: Die neuen Kommunikations- und Reisemöglichkeiten ließen die zersplitterten deutschen Kleinstaaten im öffentlichen Bewusstsein näher zusammenrücken und stärkten so die Idee einer geeinten Nation. 1848 reisten viele mit dem Zug zu Revolutionskundgebungen.

Schnell entdeckten aber auch die Machthaber die Vorzüge des neuen Transportmittels. Im Ersten Weltkrieg kamen unzählige Soldaten mit Zügen an die Front. Nach Kriegsende wurden die Bahnen der verschiedenen Länder in der staatlichen Deutschen Reichsbahn vereinigt. Ihr gehörten damals - Familienmitglieder und Pensionäre mitgerechnet - rund fünf Prozent der Bevölkerung an.

Im Zweiten Weltkrieg kam dann das dunkelste Kapitel der deutschen Bahngeschichte: „Weder der Vernichtungskrieg im Osten noch die Deportationen von Millionen Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager wären ohne die Reichsbahn möglich gewesen“, urteilt die Deutsche Bahn AG (DB) heute.

Nach der Teilung Deutschlands verlief die Entwicklung unterschiedlich: Während die DB im Westen zunehmend gegen die Konkurrenz von Auto und Flugzeug zu kämpfen hatte, war die Deutsche Reichsbahn im Osten das unangefochtene Transportmittel für Güter und Personen. Nach der Wende wurden beide Unternehmen vereint und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Dampfeisenbahnen gab es da nur noch bei Sonderfahrten, doch noch 1978 ratterten sie planmäßig durch Deutschland.

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