Es gibt sie doch, die Grenze der Kunst

Die Künstler Tony Cragg, Jürgen Klauke und Gregor Schneider diskutierten heftig und kontrovers über Horizonte der Kunst.

Es gibt sie doch, die Grenze der Kunst
Foto: AdK

Ein Pulverfass machte der Künstler Gregor Schneider in der Akademie der Wissenschaften und der Künste auf, als er vor einem voll besetzten Plenum zum Thema „Horizonte und Grenzen der Kunst“ Stellung bezog. Er brachte nämlich keinen Hymnus auf die freie Kunst, sondern belegte die Grenzen der Kultur-Institutionen anhand seiner eigenen leidigen Erfahrungen.

Es war der Einstieg in eine spannende Debatte, die im Vorwurf gegen den vorauseilenden Gehorsam von Institutsleitern und Politikern gipfelte.

Schneider, Gewinner des Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig und Profesor an der Kunstakademie, erzählte von seinen unzähligen Absagen für seinen schwarzen Kubus in den Maßen der Kaaba sowie den Verboten für seine Arbeiten „Totlast“ und das „Kalkutta-Projekt“.

Er fühle sich durchaus frei, denn das sei die kulturelle Errungenschaft der Menschenrechte, aber es gebe eine Schere im Kopf von Politikern, die auf politische und moralische Korrektheit pochen, ohne Diskussionen über Inhalte zuzulassen. Als erwarte er eine Antwort von seinen Kollegen Tony Cragg und Jürgen Klauke auf dem Podium, setzte er die These hinterher: „Freiheit ist nicht nur ein Ego-Ding“.

Peter Lynen, ehemaliger Kanzler der Kunstakademie und derzeit Sekretar der Klasse der Künste, wimmelte als Moderator ab. Sein Statement lautete: „Wir können aus dem Freiheitsparagrafen der Künstler keine Leistung für den Staat ableiten. Jeder Künstler muss für sich seine Grenzen ausloten, wohlwissen, wie andere darauf reagieren. Kunst darf auch bei uns nicht alles. Aber bei uns, im liberalen Rechtsstaat, gilt in dubio pro arte.“

Jürgen Klauke, Pionier der inszenierten Fotografie, bestätigte Schneiders Erlebnisse durch das aktuelle Beispiel der #MeToo-Debatte. Da gebe es „Nebengeräusche und Nebenwege“. Er sprach von der „politischen Korrektheit und den moralischen Ansprüchen“, die neuerdings an die Museen wie an die Künstler gestellt werden. Man könnte sogar von Bilderverboten sprechen, wenn man Werke von Balthus abgehängt habe.

Klauke: „Da macht sich eine gewisse Angst breit, indem man plötzlich die Museen in die Verantwortung ruft, sie hätten sich um das Nackte oder das Falsch-Nackte nie gekümmert.“ Der Künstler sprach von ganz merkwürdigen Tönen, wenn man plötzlich die Expressionisten in einen Zusammenhang mit einem 14-jährigen Mädchen bringe, das nackt gemalt wurde. Klauke: „Das sind hoch brisante Neuigkeiten in der westlichen Welt.“

Gespannt war man natürlich im Plenum, was Tony Cragg, als Turner-Preisträger und Gewinner des Praemium Imperiale der Berühmteste der drei Künstler, dazu sagen würde. Er tat den Zuhörern nicht diesen Gefallen. Er umschiffte die Diskussion und blieb gleichsam bei seinem Leisten. Für den Bildhauer gehe die Entwicklung ständig über Grenzen. Es könne sich ihm die ganze Welt öffnen. Wörtlich: „Ein Individuum schreitet weiter. Wir sind von unserer Existenz her angewiesen, weiter zu gehen.“

Klauke konterte mit einer leicht ironischen, sehr tiefsinnigen Bemerkung: „Es gibt eine großartige technische und wissenschaftliche Erweiterung des Horizonts. Aber zugleich konstatieren wir unsere Endlichkeit. Sie spielt immer weiter eine Rolle, auch wenn die Karawane der Wissenschaften weiter zieht. Deswegen mache ich überhaupt Kunst.“ Die Selbstbehauptung, Selbstvergewisserung und Selbstbeeinflussung seien Merkmale von sogenannter Freiheit. Das sei die Einengung des eigenen Systems.

Cragg versuchte es noch einmal, sprach von der eigenen Energie. Künstler hätten eine „wahnsinnige Rolle“, die sichtbaren wie die unsichtbaren Veränderungen zu verarbeiten. Als Klauke abermals widersprach, die Welt werde von Geld, Wissenschaften, Politik und Militär beeinflusst, griff Lynen, der Jurist ein und brachte Joseph Beuys ins Spiel, dank dessen Aktionen der Kunstbegriff heute sehr weit gefasst sei.

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