25 Jahre nach dem Anschlag Mevlüde Genç: „Solingen liebe ich noch wie meine Heimat“

Die Mutter der Opferfamilie spricht über den größten Verlust ihres Lebens. Zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte starben bei dem Brandanschlag auf ihr Haus vor 25 Jahren.

25 Jahre nach dem Anschlag: Mevlüde Genç: „Solingen liebe ich noch wie meine Heimat“
Foto: dpa

Solingen. Den 29. Mai 1993 vergisst Mevlüde Genç nie: Damals kamen bei dem Brandanschlag in der Unteren Wernerstraße in Solingen fünf Angehörige ihrer Familie ums Leben. Zur Voraussetzung für das Interview mit dieser Zeitung machte die 75-Jährige, dass keine Fragen zur Politik gestellt werden. Das Gespräch wurde von einem Dolmetscher übersetzt.

Frau Genç, Sie haben bei dem Anschlag fünf Mitglieder Ihrer Familie verloren. Warum sind Sie dennoch in Solingen geblieben?

Genç: Ich war 27 Jahre alt, als ich nach Solingen gekommen bin. Jetzt sind fast 46 Jahre vergangen. Das heißt, ich habe hier länger gelebt als in der Türkei. Ich habe sowohl meine Jugend als auch mein Alter in Solingen verbracht. Solingen liebe ich trotz des Anschlags noch wie meine Heimat.

Das klingt sehr versöhnlich. . .

Genç: Sowohl das Bittere wie auch das Schöne gehören zum Leben. Ich habe hier in der Stadt meine Schwiegertochter und meine Enkel und bin hier verwurzelt.

Wie wichtig ist Ihnen, dass jährlich am 29. Mai dieses Anschlags gedacht wird?

Genç: Ich kann durch den Tod meiner Kinder ihre Geburtstage nicht mehr feiern. Für mich ist der Tag des Anschlags der Tag, an dem ich besonders an meine Kinder denke.

An welchem Ort gedenken Sie dann Ihrer Kinder?

Genç: Ich gedenke am Ort des Anschlags in der Unteren Wernerstraße. Ich gehe dorthin jedes Jahr mit meinem Mann. Das wird bis zu meinem Lebensende auch immer so bleiben.

Wie wichtig ist Ihnen, dass zum Gedenktag auch Politiker kommen? Die Außenminister der Türkei und Deutschlands wollen in diesem Jahr Solingen besuchen. . .

Genç: Sie alle kommen, um Anteilnahme an meinem Schmerz zu zeigen. Deshalb bin ich ihnen dankbar. Sie lassen mich damit nicht allein und stehen zu mir.

Hat sich die Stadt Solingen seit dem Brandanschlag verändert?

Genç: Ja, es haben sich Veränderungen seither ergeben. Näher kann ich das aber nicht beschreiben.

Haben Sie auch Kontakt zu Deutschen in Solingen?

Genç: Ja, ich habe viele Kontakte zu deutschen Freunden. Für mich gibt es zwischen Deutschen und Türken keinen Unterschied.

Wie wichtig ist Ihnen das Miteinander zwischen Türken und Deutschen in der Stadt?

Genç: Es macht mich stolz, dass wir miteinander geschwisterliche Beziehungen entwickelt haben und uns auch besuchen.

Haben Sie Sorge, dass mit dem Schicksal Ihrer Familie Politik gemacht wird?

Genç: Ich habe mit der Politik nichts zu tun. Das ist ein Tag, an dem ich meinen Schmerz noch einmal durchlebe und an die Verlorenen denke. Das hat mit Politik ausdrücklich nichts zu tun.

Worin haben Sie in all den Jahren Trost gefunden?

Genç: Den Trost gibt mir Gott. Er gibt mir im Herzen das Gefühl der Freundschaft und der Geschwisterlichkeit. So kann ich Trost finden und meinen Mitmenschen Liebe erweisen.

Welche Gefühle haben Sie heute, wenn Sie an die Täter denken?

Genç: Ich bete zu Gott, dass er mir Kraft und Geduld gibt. Auf diese Weise habe ich keine schlimmen Gefühle.

Was ist Ihr größter Wunsch für die nächsten Jahre?

Genç: Ich möchte, dass wir alle gute Menschen sind und uns richtig verhalten. Ich wünsche mir, dass wir in dieser Stadt geschwisterlich und in Freundschaft miteinander leben und einander kein Leid antun.

Haben Sie Sorge, dass der Brandanschlag einmal in Vergessenheit geraten könnte?

Genç: Nein, diese Sorge habe ich nicht. Wenn ich an meine Kinder denke, die ich verloren habe, dann denke ich immer an die schönen Tage, die sie verbracht haben.

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